Frauen zählen in Irland

von Gabriele Haefs

„Look! It’s a woman writer!“ Verheißungsvoll der Titel, schön bunt das Cover. „Irish literary feminisms, 1970-2020“ ist der Untertitel, und natürlich wird zuerst nachgesehen, wer alles dabei ist, und wie es mit den Lieblingsautorinnen aussieht. Die eine Lieblingsautorin, Rita Kelly, finde ich immerhin in effigie, auf einem Foto von Büchern von irischen Autorinnen ist einer ihrer Lyrikbände zu sehen. Die andere Lieblingsautorin, Eilís Ní Dhuibhne, ist die Herausgeberin! Irgendein Name fehlt bei Anthologien immer, das ist klar, und im Vorwort schreibt die Herausgeberin, dass einige der gefragten Autorinnen einfach keine Zeit hatten, um etwas für dieses Buch zu schreiben, während sie und die anderen an dem Buch Beteiligten einige weitere ganz einfach vergessen haben, wofür sie um Entschuldigung bitten. Und das ist eigentlich schön! Es gibt jetzt also so viele irische Autorinnen, dass es möglich ist, einige zu vergessen.

22 Autorinnen kommen im Buch zu Wort, sie schreiben Romane, Theaterstücke, Lyrik und Kinderbücher, sie schreiben auf Irisch und auf Englisch. Die älteste wurde geboren 1943, die jüngste 1960. Damit finden sich einige Gemeinsamkeiten: Die meisten gingen noch zur Schule, als 1964 in Irland das Schulgeld für weiterführende Schulen abgeschafft wurde. Damit war auch Mädchen aus weniger wohlhabenden Familien der Weg zur Bildung und oft sogar zur Universität möglich. Dazu wurde der Zwangszölibat für Frauen im Staatsdienst abgeschafft, eine Karriere z.B. als Lehrerin wirkte gleich viel attraktiver, wenn sie bei der Heirat aufgegeben nicht werden musste. Und viele dieser Autorinnen studierten, als in den 1970er Jahren die neue Aufbruchsstimmung losbrach und sie von Frauenbewegungen in anderen Ländern hörten und dachten, wieso nicht auch bei uns? Und wieso nicht auch in der Literatur?

Jede der 22 Autorinnen hat einen Text über sich und ihren Werdegang geschrieben, dazu gibt es einen kurzen Lebenslauf und eine Liste ihrer Veröffentlichungen. Es gibt im Buch außerdem Poster, Postkarten, viele Fotos, von Aktionen in den 70er und 80er Jahren und von Büchern von irischen Autorinnen.

Eine überraschende Ähnlichkeit haben so gut wie alle: Sie erzählen von ihren ersten Leseerlebnissen. Und was haben sie gelesen? „Little Women“ (jede hat sich mit Jo identifiziert), Enid Blyton (und dann schrieben sie heimlich Internatsgeschichten mit sich in der Hauptrolle) und, sicher die große Überraschung, „Heidi“, was sie aber offenbar nicht zu literarischen Aktivitäten angeregt hat. Sie hatten also eine rein weibliche Einführung in die Literatur. Aber in der Schule und später an der Uni, wenn sie Sprachen oder Literatur studierten, ist lange Zeit keiner aufgefallen, dass nur Männer erwähnt und gelesen wurden, und dass die Studierenden vor allem Frauen waren, die Lehrenden aber Männer. Wer in Belfast studiert hat, schwärmt noch heute davon, was für ein inspirierender Lehrer der spätere Literaturnobelpreisträger Séamus Heaney war. Aber auch der setzte nur die Kollegen auf die Leselisten und ließ die Kolleginnen außen vor.

Als sie anfingen zu schreiben, fanden sie also keine weiblichen Vorbilder, und dann fielen sie aus allen Wolken, als ab Mitte der 70er Jahre mehr und mehr irische ehemals viel gelesene irische Autorinnen neu entdeckt und wiederveröffentlicht wurden. Hier gibt es übrigens einen Unterschied zwischen irischsprachigen und englischsprachigen Autorinnen. Die Irischsprachigen berufen sich auf drei Vorbilder: Péig Sayers, Máire Mhac an tSaoi und Eibhlin Dubh Ní Chonaill – allerdings, Péig Sayers wurde berühmt durch ihre autobiographischen Schriften, die in Irland Schullektüre sind (die eine Ausnahme also im rein männlichen Bildungskanon), die beiden anderen schrieben Lyrik, und wenn auch Máire Mhac an tSaoi als bedeutendste irische Lyrikerin des 20. Jahrhunderts gilt und Eibhlín Dubh (ca. 1743- 1800) die letzte überhaupt war, die in den klassischen gälischen Versmaßen dichtete, so halfen diese Vorbilder einer angehenden Romanautorin nicht weiter.

Immer wieder erwähnt, egal, welcher Sprache die Autorinnen schreiben, werden drei Namen: Die Verlegerin Jessie Lendennie gab schon vor 40 Jahren die Bücher heraus, die die etablierten Verlage zu schwer verkäuflich fanden. Der Journalist David Marcus bot in seiner Rubrik New Irish Writing in der Zeitung Irish Press für viele Autorinnen und Autoren die erste Veröffentlichungsmöglichkeit überhaupt war. Allerdings, die allererste Erzählung von Eilis Ní Dhuibhne, die ich je übersetzt habe, wurde von David Marcus abgelehnt, das schreibt sie hier im Buch, sie sei zu „ausgeflippt“ (erschienen unter dem Titel „Erfüllung“ in „Frauen in Irland“, DTV, 1991). Die dritte im Bunde ist die Lyrikerin Eavan Boland, die jederzeit jüngeren Kolleginnen an ihrem Wissen und ihren Erfahrungen teilhaben ließ.

Anstoß zu diesem Buch gab das Abbey Theatre, Irlands Nationaltheater. 2016 war die Jahrhundertfeier des irischen Osteraufstands zu feiern, und der Theaterchef gab Stücke zu diesem Thema in Auftrag, die dann aufgeführt wurden, alle von Männern. Bühnenautorinnen taten sich nun zur Aktion Waking the Feminists zusammen und forderten, auch die Arbeit von Dramatikerinnen zu sichten und ihnen eine Chance zu geben. Die in diesem Buch vertretenen Theaterautorinnen hatten ein déja vu-Erlebnis, 30 Jahre zuvor hatte es ähnliche Aktionen gegeben, worauf dann für einige Jahre auf irischen Bühnen mehr Autorinnen gespielt wurden. Unmerklich waren diese Aktionen in Vergessenheit geraten, so dass die jungen Autorinnen 2016 wieder das Gefühl hatten, ohne weibliche Vorbilder dazustehen.

Muss also jede Generation von Autorinnen das Rad neu erfinden? Nein, heißt es im Buch. Inzwischen sind wir so viele, natürlich werden einige in Vergessenheit geraten, aber es werden immer noch so viel übrig sein, dass die Erinnerung an die irischen Autorinnen nicht ganz verschwindet.

Eilís Ní Dhuibhne

Das Buch ist ein wunderbares Lesebuch, wir erfahren mehr über Autorinnen, die wir schon kennen, und sogar über Lieblingsautorinnen also Neues, bekommen Lust, andere zu entdecken, es ist Literatur- und Sozialgeschichte zugleich. Es gibt zudem Zahlen. Wie hoch ist der weibliche Anteil an der irischen Buchproduktion, wie hoch war er vor 50 Jahren, wie hoch in welcher Sprache, wie viele Bücher von Autorinnen werden rezensiert: Irish Times z.B. 29 %. (Wobei der Anteil der Autorinnen bei den Büchern in irischer Sprache niedriger liegt als bei denen, die auf Englisch schreiben, was nun wieder verwirrt, da diese drei irischsprachigen Autorinnen so oft erwähnt werden). Die offenbar magische Ein-Drittel-Hürde wird auch in Irland weiterhin nur selten übersprungen. Kommt es aber noch vor, dass Anthologien der angeblich besten irischen Kurzgeschichten herausgegeben werden, in denen nur Männer vertreten sind? Das immerhin nicht, die schrecklichen Poster „Irish Writers“ mit nur Männern, die auf Englisch geschrieben haben, gibt es allerdings weiterhin in jedem Buchladen. Wer übrigens nun Lust bekommt, sich auf die Suche nach Büchern von irischen Autorinnen zu machen, auch Verlage werden im Buch vorgestellt, besonders positiv erwähnt werden Arlen House und Attic Press (Frauenverlage) und Cois Life und Cló Iar Chonnachta (Bücher auf Irisch).

In vieler Hinsicht sieht es in Irland also nicht viel anders aus als hierzulande. Allerdings, die ermüdende Frage bei Interviews: So you are a woman writer? (auf Irisch gibt es ebenfalls keine feminine Form für scribhneoir, außer bean-scribhneoir), ist eigentlich nichts ins Deutsche zu übersetzen. Wie antwortet frau, und warum wird kein Kollege je gefragt: So you are a man writer?, überlegen die Irinnen – die Antwort steht noch aus.

Bei allem kommt heraus: In Irland ist es auch nicht anders als anderswo. Es wäre wunderbar, dieses Buch mit ähnlichen Übersichtsbüchern aus anderen Ländern vergleichen zu können.

  • Eilis Ní Dhuibhne (editor): Look! It’s a Woman Writer: Irish Literary Feminisms 1970 – 2020, Arlen House, http://www.arlenhouse.ie
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