Schullektüre – vom Patriarchat durchtränkt

Bücher Heike Schiller

Foto: Heike Schiller

Eigentlich wissen wir es schon lange, aber es ist noch viel schlimmer.

Schauen wir in die »Empfehlungsliste für Gymnasien« in Baden-Württemberg, dann sehen wir eine riesige Lücke. 219 Vorschlägen von Literatur, die von Männern stammt, stehen 22 gegenüber, die von Frauen verfasst wurde. Weil Schiller, Goethe, Kleist und andere bei den einzelnen Themenfeldern immer wieder genannt werden, reduziert sich die Zahl der Autoren auf 104 und, weil andererseits auch Christa Wolf oder Irmgard Keun mehrmals vorkommen, die Zahl der Autorinnen auf 17, wenn ich mich nicht verzählt habe. Die Autorinnen in diesem Kanon deutschsprachiger Literatur sind: Anette von Droste-Hülshoff (mit der ewigen Judenbuche), Irmgard Keun (Das kunstseidene Mädchen), Anna Seghers, Ingeborg Bachmann, Christa Wolf, Brigitte Kronauer, Anne Frank, Marie von Ebner-Eschenbach, Judith Hermann, Monika Maron, Annette Pehnt, Herta Müller, Birgit Vanderbeke, Ruth Klüger, Gabriele Wohmann, Brigitte Reimann und Ulla Hahn. Das war’s. Keine Elfriede Jelinek, keine Gisela Elsner, keine Louise Aston, keine Luise Otto-Peters, keine Sophie von La Roche, keine Caroline Auguste Fischer, keine Irmtraud Morgner (Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz), keine Gabriele Tergit, Ruth Landshoff-Yorck, Gertraud Klemm, Hedwig Dohm, Anna Mitgutsch, Marlene Streeruwitz, Ursula Krechel oder Antje Rávik Strubel, um nur einige zu nennen (9).

Im Einleitungstext zur Liste wird kräftig gegendert, es kommen Schülerinnen vor, auch Autorinnen. Dass es Frauen gibt, ist also bekannt. Um so krasser ist die Diskrepanz zu den tatsächlich genannten Autorinnen. Welche Maßstäbe wurden hier angewandt? Orientiert man sich an billigen Reclam-Heftchen, wo nur eine Handvoll Autorinnen zu finden sind? Oder sind die Literaturwissenschaftler*innen und Pädagog*innen, die diese Auswahl getroffen haben, über die ästhetische Diskriminierung von Texten von Frauen als von minderer literarischer Qualität noch nicht hinaus gekommen?

Der Qualitätsbegriff ist eine Falle des Patriarchats, um Bücher von Frauen als belanglos aussondern zu können. Wobei »belanglos« ein Synonym für »gefährlich«, »verstörend« oder »verwirrend« sein könnte oder aber für: »Das interessiert die Jungs nicht, und wenn die Jungs was nicht interessiert, stören sie im Unterricht.« Und müssen wir nicht gerade die Jungs zum Lesen bringen? Womit wir wieder beim Erziehungsauftrag wären, den die Schülerinnen für ihre männlichen Klassenkameraden seit jeher mit übernehmen sollen.

Mädchen tolerieren, dass Literatur auf sie nicht passt und ihre Fragen ans Leben nicht beantwortet, Jungs nicht. Tatsächlich haben wir Frauen – auch ich – in der Lese-Erziehung in unserer Jugend gar nicht gemerkt, dass wir uns mit den Protagonisten identifiziert und deren Lebensfragen für uns passend gemacht haben, während wir die erbärmlichen Rollen der Frauen als Liebes- und Verachtungsobjekt der Protagonisten zu ignorieren versuchten: ihren Verrat am Mann, den sie nicht lieben wollten, obgleich er es verdient zu haben meinte, ihre moralische Verworfenheit, ihre Schwäche, ihren Tod infolge von Untreue und sexuellem Eigenwillen, die ganze Ausschließlichkeit, mit der sich das Leben literarisch dargestellter Frauen zwischen Heiliger und Hure zerriss, das vernichtende Urteil, das die am Weib leidende schriftstellernde Männlichkeit über uns fällte: »Ihr seid Verheißung und Zerstörung des Glücks.« Und dieses männliche Glück, das wir trüben, weil wir Frauen sind, stellte sich als das einzige gesellschaftlich relevante Glück vor uns hin. In dieser Welt der hohen Literatur kommen Frauen nur in kleinen erzählerischen Blasen vor, in denen es um nichts anderes geht, als dass sie den richtigen Mann lieben müssen. Tun sie es nicht, kommt es zur Tragödie und sie verderben und sterben. Finden sie den richtigen und werden glücklich, heißt das Trivialliteratur.

Lesende Mädchen identifizieren sich mit Faust, nicht mit Gretchen. Imgraud Morgner lässt es ihre Protagonistin Laura (Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz) aussprechen, wie sich diese Identifikationsentfremdung anfühlt: „Und dieser Rastlose war selbstverständlich ich. Dieser von unendlicher Neugier besessene, vom Tatentrieb der Sinne, von Ketzerei. Kann ein dreizehnjähriger Mensch, der gerade zu fühlen beginnt, wie die Kräfte sich in ihm sammeln und versammeln und rumoren, derart vor die Wahl gestellt, den Identifikationsverführungen von Trägheiten erliegen?« (2) Warum denn auch sollten sich junge Leserinnen heute noch mit schwachen und inaktiven Figuren identifizieren?

Lesend urteilte und fühlte ich wie also ein Mann. Mein reales Leben als junge Frau fand, schizophren abgespalten, gleichzeitig auf einer anderen Schiene statt. Dort, wo es darum ging, mein berufliches Ziel zu definieren und seine Erreichbarkeit abzuchecken, dabei zurückgestoßen auf die unausgesprochene Erwartung meiner Erzieher*innen, mich durch Aussehen, Reden und Verhalten für die Liebe attraktiv zu machen, also möglichst weiblich zu erscheinen oder zu sein. Wobei in den siebziger und achtziger Jahren weder Gretchen noch die Rote Zora oder Nora als Muster helfen konnten. Vor allem erlebte ich mich als Wesen, das mehr Ziele hatte als nur das eine, den richtigen Mann zu finden. Die Literatur half da wenig und hilft bis heute nicht viel mit positiven und facettenreichen Frauenbildern. Am ehesten tat und tut sie es in Krimis. Wenn sie von Frauen geschrieben wurden, kommen immerhin viele Frauen in vielen Berufen und sozialen Positionen darin vor, auch wenn sie die patriarchal organisierte Gesellschaft gar nicht infrage stellen (Agatha Christie) und so manches Klischee von Weiblichkeit bedienen. Selbst Eugenie Marlitt oder Hedwig Courts-Mahler schafften es trotz aller Schnulzigkeit, Frauen zu zeigen, die durch klare Peilung und Sturheit ihr Glück selbst bestimmen, also irgendwie stark und voller Selbstvertrauen sind, auch wenn es sich hier nur um den sozialen Aufstieg durch Eheglück handelt.

Welche Auswirkungen die rein männliche Perspektive des Literatur-Kanons auf uns Frauen hat, welche Geschlechts- und Gender-Bilder uns vermittelt werden, die von Frauen eine beständige innere Abgrenzungsarbeit (»So bin ich doch gar nicht!«) verlangen, und welche politisch-kulturellen Traditionen Frauen aus den Literatur-Kanons drängten, hat Katharina Herrmann in ihrem Aufsatz, »Auch ein Land der Dichterinnen und Denkerinnen«, untersucht.

Werfen wir nun einen Blick in die vorliegende Liste für Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg, dann stellen wir fest: Die Welt wird der Hälfte unserer Schüler*innenschaft, die weiblich ist, fast nur von Männern erklärt. Das, wie es im Einführungstext der Liste heißt, »kulturelle Gedächtnis der Lesegemeinschaft«, mit der unsere jungen Menschen geistig und emotional eingestimmt werden auf die Grundfragen des Lebens, beinhaltet vor allem die männliche Sicht auf Mann und Frau, auf Gesellschaft, Kultur und Rebellion. Mädchen lernen sich hauptsächlich in der Rolle der Begehrten, des Objekts männlicher Macht und Definition kennen. Wenn doch mal eine Frau Zentrum eines Romans oder Theaterstücks ist, so erscheint sie durch den männlichen Blick entfremdet, nicht rational, labil und zum tragischen Opfer bestimmt, kurz: als Mensch entwertet. Die Frauenbilder sind grotesk verzerrt zwischen Heiliger (Ignorantin sexueller Wünsche) und Hure (Verräterin, Verbrecherin). Dieses Menschen- und Kulturbild ist patriarchal durchtränkt.

Die Liste ist in Themenblocks unterteilt, zu denen Romane, Theaterstücke oder Erzählungen empfohlen werden. Ich greife hier ein paar exemplarisch heraus.

Zum Thema »Recht und Gerechtigkeit«, mit dem die Liste beginnt, haben Frauen schon mal gar nichts zu beizutragen. Das ist reine Männerdomäne von Kleist über Schiller, Böll (Die verlorene Ehre der Katharina Blum) und Dürrenmatt (Besuch der alten Dame) bis Kafka und Lenz. (3) Bölls »Katharina« benutzt das undifferenzierte Klischee einer treu und unerschrocken Liebenden (Heiligen), die leidet und zur Mörderin wird. Dürrenmatts alte Dame ist, ebenso platt, nur Rächerin und Mörderin (Hure). Nicht sehr ermunternd für Mädchen, sich das Thema Gerechtigkeit zu eigen zu machen. Mir fiele immerhin Caroline Auguste Fischer (1769-1843) mit ihren Romanen ein, in denen sie die rechtliche und soziale Benachteiligung von Frauen schildert, die sich in Ehen begeben. Oder auch das Hörspiel von Anna Seghers (1900-1983) »Der Prozess der Jeanne d’Arc zu Rouen 1431«. Oder Doris Gerckes »Weinschröter, Du musst hängen«, gar nicht so anders, aber eben eine mit weiblicher Erschrockenheit erzählte Geschichte der richtenden Rache einer misshandelten Frau.

Auch zum Thema »Identität und Rolle« gibt es gar nichts von Frauen. (4) Mädchen haben keine Identität, brauchen sie nicht. Oder anders gesagt, die Auswahl transportiert die Behauptung: Identität hat nichts mit Geschlecht zu tun. Wir wissen, dass das nicht stimmt. Folglich ist die Aussage dieser Aufzählung: Weiblichkeit ist Identitätsmerkmal genug, eine Binnendifferenzierung braucht es hier nicht, diffizile Identitätsfragen und Rollenspiele in der Gesellschaft betreffen nur Männer. Max Frisch, den ich wegen seiner Spiele mit Rollenerwartungen in meiner Jugend verschlungen habe (Frauen waren leider nur Begehrensobjekte, die Männern Gedankenarbeit und Leid bescheren) ist gleich mit drei Beispielen vertreten (4). Jedoch keine Christa Wolf mit »Kindheitsmuster« (was auch zu Bildung passen würde) oder zusammen mit Irmtraud Morgner und Sarah Kirsch mit »Geschlechtertausch«, drei Geschichten, die mit weiblicher Identität im Körpergewand des Mannes spielen. Keine Ingeborg Bachmann mit »Malina«, die verschwindet, weil sie in einer von Männern dominierten Sprache und (von Massenmord und Vergewaltigung geprägten) Welt nicht existieren kann. Keine Antje Rávik Strubel mit »In den Wäldern des menschlichen Herzens«, wo sich klassische Liebesvorstellungen auflösen. Und auch nicht von Christa Winsloe »Das Mädchen Manuela«, eine Liebes – und Pensionatsgeschichte aus Mädchensicht.

Das Thema »Selbstbestimmung und Fremdbestimmung« würde sich geradezu anbieten für deutschsprachige Literatur von Frauen wie Louise Aston, Sophie von La Roche, Ingeborg Bachmann, Karoline von Günderrode, Christa Wolf und anderen, finden sich doch gerade junge Frauen in einer Welt wieder, wo sie nur begrenzt (oder gegen Widerstände) selbst bestimmen können, wie mit ihnen geredet wird, wie man sie anschaut und anfasst, was man von ihnen erwartet, wie sie sein sollen und wie sie leben wollen. Immerhin findet sich in dieser Auswahl eine Frau: Marie von Ebner-Eschenbach mit »Das Gemeindekind«. Dumm nur, dass der Protagonist männlich ist. War also auch wieder nichts.
Die existenziellen Fragen junger Frauen werden nicht behandelt, außer der einzigen: »Wen darf ich lieben?«. (5) Wie etwa in »Emilia Galotti«, »Die Marquise von O.« und »Kabale und Liebe«, die hier aufgeführt werden, allesamt Geschichten um Frauen, die vom falschen Mann geliebt werden. Auch in Franz Xafer Krötz’ »Maria Magdalena« geht es um eine Frau schwanger zwischen zwei Männern. »Woyzek«, »Der gute Mensch von Sezuan«, »Kaspar«, »Im Westen nichts Neues«, sind wiederum reine Männerkämpfe in einer Männerwelt der Macht und Ohnmacht, genauso wie das Managerdrama »Top Dogs« von Urs Widmer. In Kleists »Marquise von O.« löst sich die Horrorvorstellung für junge Frauen, im Zustand der Bewusstlosigkeit und Ohnmacht vergewaltigt und geschwängert zu werden, in ein süßliches Liebesglück mit einem ansonsten hochanständigen Mann auf; ein Widerspruch in sich und eine Zumutung, mit der die lesenden jungen Frauen nun irgendwie leben müssen. Wir Frauen behalten nämlich jede Menge Dreck im Kopf zurück, wenn wir viel lesen, vor allem viele Bücher, die von Männern geschrieben wurden.

Bei der »Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus« finden wir überraschenderweise vier Frauen: »Das Tagebuch der Anne Frank«, »Das siebte Kreuz« von Anna Seghers, »Weiter leben« von Ruth Klüger und Monika Marons »Pawels Briefe«, doch die verlieren sich unter 22 Büchern von Männern. (6) Das »Siebte Kreuz« ist eine Erzählung über Männer, und auch Monika Maron erzählt die Geschichte ihres jüdischen Großvaters. Aber immerhin, Anne Frank ist kluge junge Frau pur und Ruth Klügers Roman ist eine Autobiographie, also mit sich selbst in Erzählsubjekt und -objekt identisch und weiblich. Ihre Geschichte führt bis ins Konzentrationslager Theresienstadt. Auffällig ist, dass Frauenschicksal in diesen Beispielen jeweils eng verknüpft wird mit dem jüdischen Schicksal, ja, mit ihm identisch zu sein scheint. Die Vexierbilder, die so entstehen, bekräftigen die generelle Bedrohtheit weiblichen Lebens durch die patriarchale Gesellschaft, die sich ermächtigt zu selektieren und zu töten. Ist das gewollt oder Zufall? Und wird es so im Unterricht besprochen?
In Frischs »Andorra« wiederum, einem Drama, das leicht zu lesen ist und vermutlich oft für den Unterricht ausgewählt wird, begegnen wir der für Männerliteratur so typischen Frauenrolle, unentrinnbar festgeklemmt zwischen Liebesobjekt, Untreueverdacht und Bestrafung durch Expulsion aus der Gesellschaft oder Tod. Die junge Frau, die der Junge liebt, wird von einem Soldaten vergewaltigt, was den Jungen an ihr verzweifeln lässt, und sie endet in geistiger Umnachtung. Das macht Schülerinnen keinen Mut, sich als wertvolle Elemente der Menschheitsgeschichte zu begreifen.

»Freiheit und Verantwortung, der Mensch im Spannungsfeld der Geschichte«, kommt wieder ohne erzählende Frauen aus. Das Thema »von Söhnen und Töchtern, Familienverhältnisse« lassen wir uns auch komplett von Männern (15) erklären, nein, halt, nicht ganz: Eine einzige Frau darf da mitreden: Birgit Vanderbeke mit »Das Muschelessen«, eine Abrechnung mit der patriarchal organisierten Familie in der DDR.

Und dann bekommt die »weibliche Identitätsfindung, Anpassung und Widerstand« auch noch ein Extra-Kapitel. Einen Block, Identitätsfindung für Jungs, gibt es nicht, haben die ja schon die ganze Zeit (und lesen wollen die sowieso nicht). So stellt sich heraus, dass weibliche Identität und Identitätsfindung ein Sonderfall unsereres kulturellen Gedächtnisses ist, etwas kleines Blasenhaftes innerhalb eines großen Ganzen von Kultur und Welt. Angeführt wird aber auch diese Liste von den Herren Goethe und Schiller, Kleist und Fontane, die wir schon aus den anderen Blöcken kennen, ingesamt sind es neun Autoren. Dazu kommen fünf Bücher von vier Autorinnen: Irmgard Keun »Das kunstseidene Mädchen, Brigitte Kronauer, »Erzählungen«, Brigitte Reimann »Franziska Linkerhand« und von Christa Wolf die Romane »Nachdenken über Christa T. und »Kein Ort. Nirgends.« (7) Aber keine Gisela Elsner (Abseits), keine Louise Aston (Lydia), keine Elfriede Jelinek (Krankheit der modernen Frauen).
Statt dessen »Kabale und Liebe« und sogar »Faust I«, wo das arme Gretchen »Er liebt mich, er liebt mich nicht« fragen darf und im Elend endet. Schnitzlers »Fräulein Else« macht sich immerhin zum Sprecher eines weiblichen Konflikts. Elses Vater ist bankrott und der Geldgeber fordert, dass sie sich ihm nackt zeigt. Das Dilemma ist eines, dem nur eine junge Frau ausgesetzt sein kann, aber kein junger Mann.
Da stellt sich doch die Frage, ob unsere lesenden jungen Frauen eigentlich nur lernen sollen, dass ihr existenzielles Problem ihr Geschlecht ist und ihre Gewissenskonflikte lediglich ihren weiblichen Körper als Schlachtfeld männlicher Macht betreffen. Sicher ist das ein wichtiges Thema junger Frauen, klammert aber alle anderen existenziellen Fragen aus wie soziale Verantwortung, Gewissensentscheidungen, Abenteuer und Wagnis, die Grenzen von Selbstlosigkeit und Pflicht oder den Griff nach beruflichem Erfolg und dessen Schattenseiten, Themen, die in der Literatur von Männern für Männer reichlich abgehandelt werden.

Logisch, dass in der Abteilung der fremdsprachigen Literatur unter dem Stichwort »Alltag und Abenteuer – Bewährungsproben« (die sich unter den deutschen Literaturempfehlungen nicht befindet) keine einzige Autorin aufgeführt und keine einzige Mädchengeschichte erzählt wird. (8) Immerhin hätte man die »Rote Zora und ihre Bande« von Kurt Held aufnehmen können, auch wenn es sich nur um einen weiteren Mann (und um einen Deutschen) gehandelt hätte. Auch keine Pippi Langstrumpf findet sich hier. Astrid Lindgren kommt in der Liste überhaupt nicht vor, vermutlich als Kinderbuchautorin für nicht mehr altersgerecht gehalten, Mark Twains »Tom Sawyer« aber sehr wohl. Wo ist der Unterschied? Scheint im Fall Tom Sawyers die Kindergeschichte realistisch und gesellschaftskritisch und im Fall Pippi Langstrumpfs jedoch nur fantastisch und surreal? Oder finden wir körperlich starke, antiautoritäre und sowohl fantasie- als auch vernunftbegabte Mädchen einfach total irreal? Wollen wir unseren Schülerinnen keine weiblichen Vorbilder zeigen, schon gar keine, die die Rollenzuweisung abwerfen, ohne sich um die von der Männerliteratur behaupteten typisch weiblichen und damit einzigen Konflikt zu kümmern, nämlich den, dass sie einen weiblichen Körper haben, der von Männern begehrt und unterworfen wird?

Fast möchten wir das meinen, wenn wir uns diese fürchterliche Liste anschauen, die unseren Schüler*innen irgendwie zur geistig-kulturellen Menschwerdung verhelfen soll. Auch wenn es wesentlich mehr deutschsprachige Autorinnen gibt, als uns spontan einfällt, haben in der Literaturgeschichte im Verhältnis zu den Männern, die sich öffentlich beachtet und gerühmt durch die Jahrhunderte geschrieben haben, weniger Autorinnen veröffentlichen können, weil ihr Schreiben bis ins 19. Jahrhundert hinein als nicht schicklich geächtet wurde. Man kann die Meinung vertreten, dass es deshalb mehr Männer es zu größerer literarischer Reife gebracht haben, muss dabei allerdings bedenken, dass unsere Ästhetik (das Zusammenspiel von Inhalt und Form) gänzlich von männlichen Texten geprägt wurde. An ihnen werden Autorinnen gemessen und gegen sie scheinen sie oft abzufallen, was die literarische Perfektion betrifft. Es gibt jedoch in der Literaturwissenschaft auch den schönen Ansatz, jeden Text zunächst als gelungen anzusehen und damit die Form der Aussage zuzuschlagen. Schreibende Frauen haben bis weit ins 20. Jahrhundert hinein damit zu kämpfen, dass ihr von sich Erzählen zugleich ein Aufbegehren gegen das Patriarchat und seine eisernen Regeln ist. Das kann nicht innerhalb derselben Ästhetik geschehen. Schon gar nicht mit der hakenfreien Manieriertheit, mit der etwa Goethe oder Thomas Mann erzählen, wie die Diskussion über die literarische Qualität von »Miroloi« von Karen Köhler gerade wieder zeigt.

Wir (literarisch gebildeten) Frauen erwarten von Literaturlisten für unsere Schüler*innen, dass sie die riesige Lücke thematisieren, die unser »kulturelles Gedächtnis der Lesegemeinschaft« in Bezug auf die weibliche Erzählperspektive auf Gesellschaft aufweist. Goethes »Faust«, Hermann Hesses »Steppenwolf« und E.T.A Hoffmanns »Der goldene Topf« als Schwerpunktthemen fürs Abitur 2019/20 in Baden-Württemberg sind trostlos männerzentriert. Um mehr Weiblichkeit in den Kanon zu bringen, es ist auch nicht damit getan, Droste-Hülshoffs »Judenbuche« als einziges Buch von einer Frau neben Christa Wolfs »Kassandra« in die Sternchenthemen fürs Deutschabitur in Baden-Württemberg aufzunehmen, geht es doch auch wieder nur um den Mann und seine Konflikte, ähnlich wie in Marie von Ebner-Eschenbachs »Krambambuli«, Texte, die in solchen Listen gerne auftauchen und das kalte Grauen vor der Schullektüre verstärken.  Da in der Schule nur wenige Bücher tatsächlich gelesen und behandelt werden, braucht es gute Vorschläge von Autorinnen, die von starken Frauen erzählen und weibliche Vorbilder für gesellschaftliches Handeln schaffen. Ich habe im Verlauf meiner Überlegungen einige genannt. Aber wir müssen gemeinsam eine große Liste erstellen (9), damit die Kultusministerien sich nicht mehr auf ein achselzuckendes »Es gibt doch keine, nennen Sie mir welche!« zurückziehen können.

Nachtrag: Noch exklsiver, was Frauen begrifft, ist der Kanon der Bildenden Künstler für Schulen, wie Monika Geier in diesem offenen Brief darlegt.

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Anmerkungen:

1) In der Liste deutscher Ausgaben bei Reclam finden sich nur: Droste-Hülshoff, Lasker-Schüler, Kronauer, La Roche und Dorothea Schlegel. Erst bei der englischen Literatur sind Frauen besser repräsentiert.

2) Zitiert aus und nach: Sabine Doering, »Weibliche Faustgestalten«, http://www.presse.uni-oldenburg.de/f-aktuell/01-doering.html, 20.08.2019

3) Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas •Heinrich von Kleist, Der zerbrochne Krug •Friedrich Schiller, Der Verbrecher aus verlorener Ehre •Friedrich Schiller, Die Räuber •Georg Büchner, Woyzeck •Gerhart Hauptmann, Der Biberpelz •Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum •Friedrich Dürrenmatt, Der •Besuch der alten Dame •Friedrich Dürrenmatt, Der •Richter und sein Henker •Franz Kafka, Der Proceß •Siegfried Lenz, Deutschstunde.

4) Heinrich von Kleist, Amphitryon •Gottfried Keller, Kleider machen Leute •Max Frisch, Andorra •Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter •Max Frisch, Stiller •Max Frisch, Homo faber •Peter Handke, Wunschloses Unglück •Martin Suter, Ein perfekter Freund •Carl Zuckmayer, Der Hauptmann von Köpenick.

5) G.E. Lessing, Emilia Galotti •J.M.R. Lenz, Der Hofmeister •Heinrich von Kleist, Die Marquise von O. •Friedrich Schiller, Kabale und Liebe •Georg Büchner, Woyzeck •Marie von Ebner-Eschenbach, Das Gemeindekind •Theodor Fontane, Effi Briest •Gerhart Hauptmann, Die Weber •Friedrich Hebbel, Maria Magdalena •Bertolt Brecht, Der gute •Mensch von Sezuan •Peter Handke, Kaspar •Ödön von Horvath, Geschichten aus dem Wiener Wald •Ödön von Horvath, Kasimir und Karoline •Franz Xaver Kroetz, Maria Magdalena •Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues •Urs Widmer, Top Dogs.

6) Alfred Andersch, Sansibar oder Der letzte Grund •Jurek Becker, Jakob der Lügner •Thomas Bernhard, Heldenplatz •Marcel Beyer, Flughunde •Johannes Bobrowski, Erzählungen (Auswahl) •Heinrich Böll, Geschichten (Auswahl) •Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür •Wolfgang Borchert, Kurzgeschichten •Bertolt Brecht, Furcht und Elend des Dritten Reiches •Anne Frank, Das Tagebuch der Anne Frank •Max Frisch, Andorra •Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter •Erich Hackl, Abschied von Sidonie •Rolf Hochhuth, Der Stellvertreter •Ödön von Horvath, Jugend ohne Gott •Ruth Klüger, weiter leben •Wolfgang Koeppen, Jugend •Siegfried Lenz, Deutschstunde •Thomas Mann, Mario und der Zauberer •Monika Maron, Pawels Briefe (Auszüge) •Bernhard Schlink, Der Vorleser •Anna Seghers, Das siebte Kreuz •Thomas Strittmatter, Viehjud Levi •Hans-Ulrich Treichel, Der Verlorene •Martin Walser, Ein springender Brunnen •Stefan Zweig, Schachnovelle.

7) Friedrich Schiller, Kabale und Liebe •Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil (Auszüge) •Heinrich von Kleist, Die Marquise von O. •Friedrich Schiller, Maria Stuart •Theodor Fontane, Effi Briest •Friedrich Hebbel, Maria Magdalena •Ingeborg Bachmann, Erzählungen (Auswahl) •Bertolt Brecht, Der gute Mensch von Sezuan •Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen •Brigitte Kronauer, Erzählungen (Auswahl) •Franz Xaver Kroetz, Maria Magdalena •Brigitte Reimann, Franziska Linkerhand •Arthur Schnitzler, Fräulein Else •Christa Wolf, Nachdenken über Christa T. •Christa Wolf, Kein Ort. Nirgends.

8) Miguel de Cervantes Saavedra, Don Quijote (auch in Bearbeitung für Jugendliche) •Daniel Defoe, Robinson Crusoe (auch in Bearbeitung für Jugendliche) •Homer, Odyssee (auch in Bearbeitung für Jugendliche) •Naian Shi, Die Räuber vom Liang Schan Moor •Robert Louis Stevenson, Die Schatzinsel •Mark Twain, Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn •Mark Twain, Die Abenteuer Tom Sawyers.

9) »Die Kanon« hat bereits eine Liste mit 135 Autorinnen zusammengestellt. Anlass für den Gegenentwurf war ein Kanon, den Die Zeit veröffentlicht hatte.
Eine weitere Liste git es im schon erwähnten Aufsatz von Herrmann. Und sogar Wikipedia, das nicht gerade als gendergerechtes Lexikon bekannt ist, gibt unter dem Stichwort »Frauenliteratur« Anregungen.

 

Über Christine Lehmann

Radbloggerin, Krimiautorin, Literaturwissenschaftlerin, Stadträtin in Stuttgart
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10 Antworten zu Schullektüre – vom Patriarchat durchtränkt

  1. Pingback: Schullektüre ohne Dichterinnen und Denkerinnen - Leipziger Lerche

  2. femcel? schreibt:

    Zum Glück müssen nicht alle Mädchen diesen patriarchalen Lernstoff (bzw. Müll) für bare Münze halten. Ich zum Beispiel konnte durch das Internet viel selber in Erfahrung bringen – damals (ab 2005) war es auch noch nicht so schlimm mit den Werbebannern und frauenschändenden Seiten (Porno/Hentai, slash Fanfiktions, Goreseiten usw).

    Es steht ausserdem die Frage im Raum wie vielen Mädchen der Mangel an weiblichen Vorbildern, „wichtigen“ Frauen usw. auffällt. Ich denke den wenigsten. Mit 12 – 19 hat mir das auch nichts bedeutet, in meinem Fall mag das aber auch daran gelegen haben, weil ich im Internet meist lesbisch-zielorientierte Geschichten fand in denen es hauptsächlich um weibliche Personen ging, die nicht vergewaltigt/geschlagen/ermordet oder irgendwie sonst entmenschlicht wurden. Die auch mehr Wildfänge waren wie im Pippi Langstrumpfstil oder nerdig/anders/loserinhaft wie Marie aus „Unser Platz in dieser Welt“.

    Die Mehrheit der Mädchen und Frauen scheint jedoch ganz andere Interessen zu haben und ich gehe davon aus; einfach abgeschlossen und das was ihnen das Patriarchart hinwirft akzeptiert zu haben, darum wird auch so wenig angeklagt, dass ihnen keine Vorbilder präsentiert werden.

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  3. Pingback: Vier Künstlerinnen seit den Karolingern | Herland

  4. Christine Lehmann schreibt:

    Liebe Katharina Herrmann, tatsächlich gilt in Baden-Württemberg diese Liste fürs Gymnasium, also für alle Altersstufen, und sie ist auch nicht so gestaltet, dass man Beispiele für bestimmte Literaturgattungen und Erzählformen vorgeschlagen bekommt, sondern eben zu Themenfeldern. Deine Vermutung, dass es sich Lektüre für die letzten beiden Oberstufenjahre handelt, trifft hier nicht zu. Ich habe ja nun auch selber ein Gymnasium durchlaufen und anschließend Germanistik studiert, und fand die Vorbereitung auf die Uni minimal, obgleich ich einen inspirierten Deutschlehrer hatte. Die Uni Stuttgart hat damals einen eigenen Kanon der Weltliteratur aufgestellt, der ungefähr so war wie der hier fürs Gymnasium, aber ohne Frauen, weil die Professoren (männlich) der Meinung waren, die Studierenden läsen zu wenig. Wir hatten aber eine Dozentin, die sich mit feministischen Ansätzen beschäftigte, und für mich war es höchst interessant, die Literatur von Männern (Effi Briest, Joseph und seine Brüder, Nathan der Weise, Kästners Fabian uns so weiter) gegen den Strüch bürsten zu können und die die Rollen, die Frauen zugedacht bekamen, als geringschätzig und einseitig (nicht komplett) zu entlarven, was auch meine Professoren interessant fanden. Und gerade auch in der Judenbuche spielt die Frau, Margreht Mergel, eine erbärmliche Rolle (stolz, unhehrlich geheiratet, endet in geistiger Dumpfheit) wie sie typisch ist für die Rollen, die man in der Literatur Frauen zugedenkt, insbesondere auch den Müttern, die meist für das Unglück ihrer Kinder (oft der Töchter) verantwortlich gemacht wird, weil sie nicht nach den bürgerlich-patriarchalen Tugenden lebt. Deshalb finde ich es so schlimm, dass die Autorin, die am ehesten eine Chance hat, in der Schule gelesen zu werden, ausgerechnet wiederum so eine Geschichte erzählt, die von sehr vielen Männern handelt und Frauen nach dem allgemein gültigen Muster patriarchaler Ästhektik diffamiert. Lesende junge Frauen lernen, dass die einzig möglichen „literarisch wertvollen“ Geschichten, die erzählt werden können, solche sind, in denen Männer die großen Menschheitskonflikte durchleben und abhandeln und Frauen dicht an geistiger Idiotie dahinwegetieren. Dass auch die Männerrollen nicht positiv sind, spielt dabei keine Rolle.

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  5. kulturgeschwaetz schreibt:

    Aber Danke für den Beitrag, das ist wirklich eine ganz, ganz wichtige Diskussion, die man nicht oft genug anstoßen kann.

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  6. kulturgeschwaetz schreibt:

    Ich finde das sehr wichtig, verstehe nur die Formulierung „mit der ewigen Judenbuche“ bei Droste-Hülshoff nicht. Sie hat nun mal keinen anderen Prosatext fertiggeschrieben, die Dramen und Versepen sind wirklich eigen, die „Judenbuche“ ist ein sehr guter Text?
    Und zu der Frage „Orientiert man sich an billigen Reclam-Heftchen“ kann ich als Lehrerin halt nur sagen: Ja, selbstverständlich orientieren wir uns an billigen Ausgaben, weil wir auch Schüler/innen haben, die arm sind. Insbesondere in der Oberstufe, bei fünf bis sechs Lektüren im Jahr, die gekauft werden müssen. Wenn ein Buch da wesentlich mehr als 5 Euro kostet, überlege ich zweimal, ob wir das lesen. Wenn es geht, greife ich lieber auf die noch günstigeren Hamburger Lesehefte zurück. Die absolute Schmerzgrenze beim Buchpreis für eine Lektüre in allen Jahrgangsstufen sind für mich und viele Kolleg/innen, die ich kenne, 10 Euro. Hardcover werden selbstverständlich nicht im Unterricht gelesen, das kann man finanziell nicht verlangen. Deswegen ist natürlich die Frage der Kanonisierung und der Zugänglichkeit von Literatur von Autorinnen eben ganz wesentlich auch eine der Verlage: Sind die Werke überhaupt lieferbar (oft genug: Nein)? Und wenn ja: sind sie günstig lieferbar (oft genug: Nein)? Eine echte Hilfe in jeder Hinsicht wären eBook-Reader oder Tablets, die Schüler/innen zur VErfügung gestellt werden oder die sie leihen können, denn dann kosten nicht nur die klassischen Lektüren fast nichts mehr, sondern es wäre auch viel viel viel mehr zugänglich – eben gerade auch die Werke von Autorinnen aus der deutschsprachigen Literaturgeschichte (die man ja in der Regel nur als eBook oder print on demand bekommt). Aber klar, das ist auch eine finanzielle Frage für die Schulträger, ob das realisiert werden kann (ich bin da aber optimistisch, es gibt ja dahingehend schon Versuchsklassen).

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    • Christine Lehmann schreibt:

      Danke, liebe Kulturgeschwätz für die zusätzlichen Informationen. Wir haben nämlich überlegt, wie wichtig Reclam eigentlich noch ist. Und natürlich kam mir der Gedanke, warum Schulen bestimmte Lektüren (es sind im Grunde ja nicht so viele) nicht als Klassensatz in der Bibliothek haben. Eigentlich geht es nicht, dass die Schüler/innen sich die Lehrmittel selber kaufen und man darum nur die Bücher lesen kann, die nicht so viel kosten, also von der Verlagsprolitik gänzlich abhängig ist. Wahrscheinlich müssen wir mal selber eine Frauenreihe auflegen, broschiert und billig. Tablet uns E-Books könnten schon weiterhelfen, aber auch da ist das Angebot sicher begrenzt und auch nicht sehr auf Autorinnen bedacht. Und was die „ewige Judenbuche“ betrifft, so war das vielleicht nicht glücklich formuliert, aber ich ändere es jetzt nicht nachträglich. Für mich geistert die Judenbuche seit ewig durch die Schullektüren und Sternchenthemen, dabei ist es, Autorin hin oder her, ein deprimierend fürchterliches Buch, das modernen jungen Frauen so gar nicht weiterhilft und den leseunwilligen jungen Männern auch nicht. Es ist unendlich schade, dass es so oft dieser Text ist, den man wählt, wenn man mal eine Autorin nehmen möchte. Ich bin von Jugend an, vor allem auch in meiner Jugend, eine begeisterte Leserin gewesen, aber ich fand die Schullektüren immer arg unglücklich und stehe seitdem auf Kriegsfuß mit dem Literaturkanon für Schüler/innen. Ich habe schon als Schülerin beobachtet, wie schwer es meinen Klassenkamerad/innen fiel, damit Litereratur als für sie wichtig und von Belang zu erleben.

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      • kulturgeschwaetz schreibt:

        Liebe Frau Lehmann,
        ich glaube, das sehe ich etwas anders. Wir reden ja hier anscheinend quasi nur über die Oberstufenjahre, also die zwei Jahr vor dem Abitur, die überhaupt nur 35 bis 50 Prozent der Schüler/innen durchlaufen – das von Ihnen angesprochene Thema, das Schülerinnen weibliche Vorbilder auch als Figuren in der Narration brauchen ist aber keines, das nur 35 bis 50% der Schülerinnen betrifft, sondern eines, das alle betrifft. Entsprechend werden auch in der ganzen Sekundarstufe I in allen Schulformen die Lektüren inzwischen maßgeblich auch nach dem Kriterium ausgewählt, ob es in den Büchern Identifikationsfiguren für Schülerinnen und Schüler gibt. Die gymnasiale Oberstufe dagegen, die zwei Jahre vor dem Abitur, sind eine spezifische Phase der Schullaufbahn, die einem fest definierten Zweck dient: Der Herstellung von Studienfähigkeit. Und dementsprechend müssen da nicht nur literaturgeschichtliche Grundkenntnisse vermittelt werden, die in akademischen Kreisen in der Regel als Allgemeinbildung vorausgesetzt werden, und zwar schlicht deswegen, weil sonst sämtliche Nicht-Akademikerkinder nirgends von diesen Dingen hören und damit gegenüber Akademikerkindern noch weiter ins Hintertreffen geraten. Zudem werden jetzt in diesen Oberstufenjahren mit gutem Grund die Lektüren nicht mehr nach dem Kriterium der Identifikation ausgewählt, sondern als exemplarische Texte literaturgeschichtliche Epochen, und als solche werden sie gelesen. Denn das ist der Beitrag, den das Fach Deutsch ganz grundlegend hier übt und zur Studierfähigkeit beiträgt: Dass wir üben, Texte als auf einem historischen Kontext heraus entstanden zu lesen, zu verstehen und zu bewerten. Und deswegen ist das Kriterium in diesen Jahren nicht mehr primär der Selbstfindung der Schüler/innen zu dienen – zumal es falsch wäre, wenn genau das nicht vorher schon stattfände und den Schüler/innen anderer Schulformen vorenthalten würde, weil es eine allgemeinmenschliche Notwendigkeit ist. In der Oberstufe üben wir einen distanzierteren, reflektieren Umgang mit Texten ein, der natürlich nciht so viel Spaß macht, für die Lektüre aller Texte, auch wissenschaftlicher Texte, im Studium aber unabdingbar ist. Und wenn wir Literaturgeschichte aus diesen Gründen in der Oberstufe vermitteln, dann müssen wir darüber diskutieren, warum Autorinnen aus dieser so ausgeklammert sind, weil das ein verzerrtes Bild von Literaturgeschichte ist (und nebenbei: Warum sollen denn die Autorinnen selbst nicht auch eine Identifikationsfläche und ein Vorbild sein können? Lernen die Schülerinnen, wenn deutlich wird, dass auch Frauen Literaturgeschichte geschrieben haben, wirklich nichts einfach schon durch dieses Faktum? Das glaube ich nicht, ich halte genau das für einen entscheidenden Unterschied). Aber in diesen zwei Jahren geht es um Studierfähigkeit, nicht um Leseförderung, um Leseförderung geht es 10 Jahr lang vorher. Zumindest in Bayern sind diese zwei Jahre der Oberstufe am Gymnasium auch die einzigen, in denen Literaturgeschichte betrieben wird, ansonsten kommt nur kurz Mittelalter in der Unterstufe, Barock in der Mittelstufe und Aufklärung/Sturm und Drang in der 10. Klasse vor. Das sind also in der gesamten Sekundarstufe I drei literaturgeschichtliche Lektüren von 12. Die anderen Lektüren sind frei wählbar. Und wenn man dann in der Oberstufe keine Literaturgeschichte macht, dann wird diese vollends wieder zu einem Elitenwissen, was ich ganz schlecht fände.
        Ich finde die Judenbuche übrigens weder deprimierend noch fürchterlich, sondern eine sehr intelligente Zusammenführung von Sozialstudie, Schauerroman und Kriminalgeschichte. Und die hilft jungen Frauen und Männern sehr wohl weiter, weil man hier sehen kann, wie sehr der Mensch nach Anerkennung strebt und wie sehr er unter gesellschaftlichem Ausschluss leiden kann, zudem kann man die Frage danach diskutieren, was „Gerechtigkeit“ bedeutet.
        Eine eigene Frauenreihe fände ich ganz, ganz toll! Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie das wirklich realisieren würden.
        Herzliche Grüße
        Katharina Herrmann

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  7. Franziska Bottas schreibt:

    .. da wäre etwa das profeministische Büchlein „Die Söhne Egalias“ von Peter Redvoort ein gute Empfehlung für Schulbibliotheken …
    LG Franziska

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    • Christine Lehmann schreibt:

      Grins! Aber erst, nachdem wir „Die Töchter Egalias“ gelesen haben. Ein Buch, das in der Liste auch nicht vorkommt, aber den Jungs mal schön fühlbar machen würde, wie sich die Klassenkameradinnen fühlen.

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