Was mich bewegt. Else Laudan über Beton Rouge und andere Juwelen von hierzulande

Es beginnt mit einer Radfahrerin, die nachts auf einer nassen Straße stirbt, und zwar so, dass man schon einen Kloß im Hals hat. Und Riley von der Staatsanwaltschaft ist gar nicht im Dienst, sie ist nur auf dem Weg in die nächste Kneipe. Aber die banale, alltägliche, schiere Gewalt dieser Szene verdirbt ihr die Lust auf das gepflegte Bier.betonrouge

Dann sperrt jemand einen Mann in einen Käfig. Mitten in Hamburg, in unserer Stadt der Pfeffersäcke, wo alles, was glänzt, auch teuer ist. Dieser Typ in dem Käfig aber ist deutlich ein Opfer, betäubt, gefoltert, zur Schau gestellt, fix und fertig. Die Polizei ist schon vor Ort, mit dem Schloss kämpfend, betroffen.

Beton Rouge. Die Story ist ein cleveres Rätselmosaik, viele Szenen sind von großer Wucht, und die Conclusio, also das, was mir in den Sinn kommt, wenn ich nach dem Lesen das Buch zuklappe und überlege, was hat sie mir jetzt eigentlich erzählt, worauf läuft die Geschichte hinaus, die Conclusio also scheint mir so gewitzt wie bitter. Weil ich hier nicht spoilern will, muss ich es sehr abstrakt ausdrücken: Unsere Gesellschaft belohnt Brutalität, zieht sie regelrecht heran, schon sehr lange und immer noch ungebrochen. Wer hinguckt, kann es sehen. Hingucken müssen wir aber, auch wenn das oft keinen Fun-Faktor hat, ermüdet, frustriert, Ohnmachtsgefühle erzeugt … Beton Rouge liefert jedoch keinerlei Tusch, kein pathetisches So-ist-das-Zeigefingerstatement, sondern erzählt einfach eine Verbrechensgeschichte mit Ermittlung und dazwischen Alltag und Leben mit Frust und Abwegen, und irgendwann ist da das Ende.

Mich fasziniert aber, wie Simone Buchholz das erzählt, wie sie es klingen lässt. Bei der Tagung „Krimis machen 3“ spät Abends, sitzen trinken schwätzen, sagte einer zu mir über Beton Rouge: »Ein Buch wie ein Popsong.« Gutes Bild, finde ich – aber trifft es doch nicht ganz. Denn es ist wahr, dass ihre Krimis wie Songs sind, wie Musik. Aber ich bin ein Kind der 1960er. Ein Popsong, das ist für mich Dancing Queen oder so was. Diese Krimis sind aber nicht wie Abba, ganz und gar nicht, kein Stück. Schon eher Led Zeppelin, Dazed and Confused. Oder kennt ihr noch masCarolyn Mas? Sittin in the Dark? So. Rotzig, rau und treibend, mit Groove und Dreck und Feeling und einer wehmütigen Süße im Bauch.

Mag sein, dass es was Persönliches ist. Die Art, wie Simone Buchholz schreibt, hat mir seit jeher ans Herz gegriffen, das ist bei den letzten Büchern stärker geworden. Ich finde sie bewegend. Eine Erzählstimme, ein Sound, eigen, aber nicht maniriert, cool, flapsig, hartgesotten, doch darunter lauert ein hilflos-klebriger Kern aus Romantik, aus „Ich will, dass die Welt besser ist, als sie ist, und ich hänge an allem, was diesem Wunsch ein kleines bisschen Zuhause gibt“ – das ist für mich ein ganz zärtlicher Impuls, der Liebe und Protest zusammenbringt, so empfinde ich selbst, und wie Riley sich dauernd selbst kommentiert und manchmal anschreit, das kenne ich gut. Was diese Schreibe also mit mir macht: Sie verbindet mich mit meinem Früher. Ziemlich abgefahrener Effekt. elseMit der großmäuligen, leicht zu beeindruckenden jungen Frau, die noch nicht wissen konnte, dass sie mal die wird, die ich jetzt bin. Die aber immer schon ganz viel bewegen wollte. Damals mochte ich mich nicht besonders, von heute aus gucke ich liebevoller auf dieses unsichere, strampelnde Wesen, das ich mal war. Vor allem, wenn ich gerade einen von diesen Krimis gelesen habe, weil sich in diesem Sound, diesem Blick auf die Welt ein irgendwie hemmungsloses Gefühl wiederfindet, das ich schon hatte, als ich noch über ganz wenig Lebenserfahrung verfügte, und das ich heute noch habe, und ohne das ich nicht ständig versuchen würde, Kultur zu machen.

Inzwischen bin ich eine Verlegerin, die sich im Genre ein wenig auskennt, und eine impulsive Semi-Intellektuelle, die immer was verändern will (fast schon manisch das), und gute Krimis verschlinge ich nächtens en masse wie als Kind getrocknete Aprikosen. Ich verlange von ihnen, von den Krimis oder ihren Autorinnen und Autoren, dass sie etwas mit mir machen, dass sie mich bewegen. Dann kann ich wieder da raus gehen und selber was zu bewegen versuchen in diesem Morast, den wir um uns haben und von dem ein kleines, manchmal im Warenwahn ertrinkendes und manchmal trotzig oder auch ganz unbefangen funkelndes Stückchen „Kultur“ heißt. Vielleicht ist ja dieser gefühlte Rückbezug auf meine Wurzeln, meine Antriebsenergie total subjektiv und ganz allein mein Film.

Oder Buchholz mit ihrem spezifischen Sound kriegt da etwas zu fassen, was selten ist, ein Stückchen Wahrheit über den Konflikt, der uns lebenslang begleitet, wenn wir die Welt und die Menschen eigentlich lieben, aber trotzdem hingucken und sehen, was alles gar nicht geht. Jedenfalls hat sie eine Sprache gefunden für das Bauchgefühl, das dem Zynismus nicht das Feld überlassen will, obwohl es allen Grund dazu hätte, und wenn das nötige Gegengewicht zu Trauer und Wut über den Zustand der Welt der Geruch einer Kneipe ist oder die Spiegelung in einer Pfütze auf St. Pauli, dann ist es das eben.

Mich haben dieses Jahr mehrere deutschsprachige Romane aus dem Genre und seinem direkten Umfeld extrem beglückt, mg-hellweil sie mit Courage und intelligenter Empathie den Finger in die Wunden legen und große, relevante Geschichten erzählen. Ein paar davon durfte ich selbst verlegen. Monika Geier: Alles so hell da vorn empfinde ich als unerhörtes Glanzstück einer Meisterin des klassischen Krimis, die Leichtigkeit mit Wucht verbindet und die Banalität des Bösen mit Humor, ein hochaktuelles Kunstwerk voller Zorn und Mut und delikat-bissiger Heiterkeit. Und driftDrift von Anne Kuhlmeyer ist für mich eine verblüffende Ver- und Entführung, die aus der realistischen Bodenhaftung des Genres einen fliegenden Teppich macht und mich literarisch über Grenzen trägt – dieses Buch wird noch lange weiter entdeckt werden, wenn die Furcht vor dem Überschreiten althergebrachter Muster etwas nachlässt.

Auch in anderen Verlagen haben Autorinnen Meilensteine herausgebracht, die meiner Meinung nach sehr dazu beitragen, das hiesige Genrespektrum aus den tapsigen Kinderschuhen zu hieven, in denen es seit Langem verharrtzb-liefDie Lieferantin von Zoë Beck verknüpft die folgenschwere Wurschtelei in den kleinen Leben Einzelner mit einer etwas weitergedachten Zuspitzung aktueller Politik und Technologie zu einem hochspannenden, dabei beeindruckend kühl servierten Intrigen- und Gesellschaftsplot von schwindelerregenden Dimensionen.

Und Simone Buchholz legt mit Beton Rouge diesen Riley-Krimi hin, der zwischen den Zeilen, aber auch ganz ausdrücklich das Ausmaß der herrschenden Brutalität vorführt und einen originären Ton für die Trauer darüber findet. blumen

So vehement, so gekonnt und so vielfältig kann das deutschsprachige Spannungsgenre also blühen.

Danke, Ladies.

Über Else Laudan

Ich bin Else, seit 1988 als hartnäckige Feministin und Ariadne-Lektorin/Verlegerin unterwegs in der Kultur rund um den Krimi. Schlechte Schreibe, Leser/innenverarschung und die meisten sozialen Verhältnisse auf diesem Planeten finde ich kriminell. Natürlich diskutiere ich mit Begeisterung unser Projekt Ariadne: Bücher, Geschichte, Idee, Autorinnen, Label und Anspruch, alles. Krimis an sich faszinieren mich, und ich kommentiere alles gern.
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3 Antworten zu Was mich bewegt. Else Laudan über Beton Rouge und andere Juwelen von hierzulande

  1. Pingback: Else Laudan: Gerne Genre! – CulturMag

  2. Sofasophia schreibt:

    Klingt nach einem dieser Bücher, das ich unbedingt lesen muss. Will!
    Danke.

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  3. annekuhlmeyer schreibt:

    Hat dies auf Wort & Tat rebloggt und kommentierte:

    Else Laudan ist begeistert.

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