von Gudrun Lerchbaum
Ich war neun, als ich mit zwei Freundinnen über den Zaun der Kirchwiese kletterte, wo eine Gruppe von Jungs zwischen den Kirschbäumen Fußball spielte.
„Wir wollen mitspielen!“, schrie ich.
Die Jungs sammelten sich und kamen in V-Formation auf uns zu. „Haut ab! Mädchen spielen nicht Fußball!“
„Ab jetzt schon“, sagte ich, schlug dem Anführer den Ball aus der Hand und kickte ihn zu einer meiner Freundinnen, die ihn vom Boden aufhob und dem Jungen zurückwarf.
„Blöde Emanze!“, schimpfte der.
Sie nahmen ihr Spiel wieder auf, ohne uns, und wir gingen lustlos zum Spielplatz, wo mich meine Freundin zu überzeugen versuchte, dass sie mich nicht verraten, sondern beschützt hatte.
Etwas hatte sich trotzdem verändert. Ich war jetzt eine Emanze und was auch immer das sein mochte, es gestattete mir, angebliche Jungssachen zu tun. Zwar war ich vom Fußballspiel weiterhin exemplarisch ausgeschlossen, doch beim Floßbauen auf dem Mississippi (=Froschtümpel) akzeptierten sie mich ebenso, wie bei den freihändigen Fahrradrennen die abschüssige Straße hinab und anderen Abenteuern, denen ich immer zugeneigt war. Wann immer mein Geschlecht zum Thema wurde, zuckte ich mit den Schultern und sagte: „Ich bin halt eine Emanze!“
Damals heftete ich mir die Emanze auf meine Fahne und dort ist sie geblieben, hat mir unzählige Male geholfen meine, nun ja, Frau zu stehen, ob als Kellnerin oder im Architekturstudium, auf der Baustelle oder als oftmals einzige Frau unter männlichen Gleitschirmfliegern.
Erst relativ spät habe ich begriffen, dass ich als Einzelkämpferin nicht nur meine Kräfte vergeude, sondern auch indirekt die systematische Benachteiligung von Frauen unterstütze, indem ich zulasse, als Ausnahme von der Regel stilisiert zu werden. Der Zusammenschluss mit anderen Frauen war die logische Folge, auch wenn das bedeutet, zunächst ein eigenes, exklusiv weibliches Spielfeld aufzumachen. Auf diesem Feld beweisen wir, dass es sich für beide Seiten lohnt zusammenzuspielen, bis es zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Denn darum geht es aus meiner Sicht: nicht um eine Gegnerschaft zwischen Männern und Frauen, sondern um die Freiheit, unabhängig vom Geschlecht (oder sexueller Orientierung, Herkunft usw.) mitspielen und die Regeln in allen Bereichen gleichberechtigt mitbestimmen zu dürfen. Fähigkeiten und Neigungen sitzen weder in den Eierstöcken noch in den Hoden. Es gibt genau einen Bereich, in dem die Auswahl nach dem Geschlecht berechtigt ist: die Partnerwahl.
Längst ist nachgewiesen, dass die Unterschiede in Fähigkeiten und Neigungen innerhalb eines Geschlechts wesentlich größer sind als zwischen den Geschlechtern. Dennoch ist trotz gleichwertiger Grundausstattung in Jahrtausenden des immergleichen Rollenspiels naturgemäß eine weibliche Lebensrealität entstanden – vornehmlich geprägt durch Fürsorgepflichten –, die ebenfalls Teil meines Selbstverständnisses ist. So sehr gedankenlose Unterwerfung unter Rollenstereotype Teil des Problems ist, so sehr ist deren Darstellung Teil der Lösung. Hier kommen wir, Autorinnen, Verlegerinnen, Übersetzerinnen und Rezensentinnen, ins Spiel. Weibliche Lebensrealität gleichwertig und gleich häufig darzustellen und als gleich bedeutsam zu rezipieren, entbindet die männliche Realität von ihrer Normhaftigkeit und eröffnet damit beiden Seiten neue Räume der Gemeinsamkeit.
Auch dieser Artikel, wirft meine interne Kritikerin ein, ist typisch weiblich aufgebaut, fängt im Kleinen, Persönlichen an, um daraus ein Weltbild zu konstruieren. Dann soll es so sein.
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Das reblogge ich gerne, wenn ich darf. Klasse Text, den ich gerne unterschreibe!
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Hat dies auf g:textet rebloggt und kommentierte:
Ich freue mich und fühle mich durchaus auch geehrt, ab jetzt mit den großartigen Kolleginnen der Plattform HERLAND für das Gute,Wahre und vor allem Weibliche in der Literatur mitstreiten zu dürfen.
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