von Gabriele Haefs
Nun war ich zu einem Seminar in Norwegen eingeladen, und es ging natürlich um das Übersetzen. Den Besuch der norwegischen Kulturministerin und das unglaublich grauenhafte Sakko ihres persönlichen Sekretärs zu beschreiben, würde im Moment zu weit führen, ich werde aber bestimmt noch ausführlich darüber schreiben. Hier geht es um die Vorbereitungen zum Seminar, die mir arges Kopfzerbrechen bereitet haben. Wir sollten das erste Kapitel eines Buches übersetzen und dann über die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten diskutieren. Das Buch ist eine Dystopie, verkauft sich in Norwegen wie blöd, und es geht so los: Der Ich-Erzähler, Brage, denkt daran zurück, wie sein Leben vor der Katastrophe war. Er war ein ganz normaler Junge, findet er, er ging zur Schule, fand seine Eltern doof und spielte Fußball. Und schwärmte für Frida aus seiner Klasse. Doch als er sich einmal ein Herz fasste und sie fragte, was sie am Wochenende unternehmen wollte, sah sie ihn nur verachtungsvoll an.
Schlimm für den Armen. Schlimm aber auch, wie er die Angebetete beschreibt: gebleichte Haare, Gesicht wie ein Model, knackiger Hintern, aber sie turnt ja auch viel. Hier schluckt die Leserin. Brage selbst spielt Fußball, weil es ihm Spaß macht. Frida turnt, um einen knackigen Hinter zu kriegen, und das nicht, weil sie gern einen solchen hätte, sondern, um die Jungs damit ins Verderben zu stürzen, so ungefähr sieht er das. Zu allem Überfluss ist Frida ewig umgeben von einem „Hühnerhof“, wie Brage die Freundinnen der Angebeteten so charmant nennt. Zugegeben, Frida macht auch Cheerleading, und da ist es durchaus möglich, dass sie einfach eine eingebildete Kuh ist – aber ebenso vorstellbar ist es, dass sie Brage so verachtungsvoll anschaut, weil sie ihn schließlich seit der ersten Klasse kennt und sich mit kleinen Sexisten grundsätzlich nicht abgibt.
Brage beschreibt seine Freunde, natürlich nur Jungs, die er auch alle seit dem ersten Schuljahr kennt. Offenbar ist in all den Jahren in seiner Klasse nie ein Mädchen gewesen, das der Rede wert gewesen wäre, außer eben Frida. Und dann erzählt er, was die Eltern seiner Freunde beruflich machen, pardon, die Väter. Mütter sind offenbar so unwichtig wie das gesamte weibliche Geschlecht, nur Brages eigene ist so peinlich, daß sie doch erwähnt werden muss. Sie ist Gynäkologin, gibt sich also den ganzen Tag mit Frauen ab, das sagt ja wohl genug.
Weiter als dieses erste Kapitel habe ich nicht gelesen. Vielleicht tue ich dem Autor unrecht, aber ich glaube nicht, denn er trat leibhaftig beim Seminar auf und konnte mit dem Unbehagen so mancher Leserin nichts anfangen. Sein Roman verkauft sich also wie blöd, und er wird von Jungen gelesen. Das ist wichtig. Jungen lesen auch in Norwegen zu wenig und müssen mit passenden Büchern verlockt werden. Gut und richtig, klar, alles, was Jungen zum Lesen bringt, ist erst mal hervorragend, aber geht es vielleicht auch anders? Welche Signale werden an Mädchen ausgesandt? Keine guten, scheint mir. Dass Jungen zum Lesen gebracht werden müssen, wird immer wieder gesagt, dass Mädchen offenbar von sich aus lesen, wird unterstellt. Und je häufiger gesagt wird, „Jungen sollen lesen, Mädchen lesen sowieso“, umso klarer wird die (vermutlich gar nicht beabsichtigte) Botschaft: Mädchen, ob ihr lest oder nicht, interessiert nicht weiter! Wenn Jungen lesen, ist das toll und lobenswert, ein dreifach Hoch auf den Autor, der sie dazu bringt, und wenn er noch so sexistischen Müll schreibt. Wenn Mädchen lesen, ach, sollen sie doch, nicht der Rede wert. Wenn renommierte Zeitschriften, die sich mit Jugendliteratur befassen, eine Sparte einführen: „Das lesen Jungs“, dann sagt das doch: Was Jungen lesen, ist besonders gut und wertvoll. Diese Spalte gibt es, ich hatte vergessen, in welcher Zeitschrift sie erscheint, habe gegoogelt, die Treffer bei „Das lesen Jungs“ sind beängstigend viele. Und immer entsteht beim Lesen der dort gegebenen Empfehlungen dieser Eindruck:
Mädchen lesen alles, um die brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, egal, was in den Büchern steht, welches Frauenbild vermittelt wird. Bei Jungen ist es offenbar aus anderen Gründen egal, denn was sie lesen, ist per se hervorragend, egal, welches Frauen- oder Männerbild vermittelt wird. Ist das wirklich so? Ich bin nicht sicher, aber der Verdacht ist vorhanden, und seit ich die Proübersetzung gemacht habe und genauer hinschaue, finde ich einen Beleg nach dem anderen.
Offenbar bin ich nicht die einzige. Die norwegische Autorin Erna Osland (von der schon seit Jahren nichts mehr auf Deutsch erschienen ist, Skandal!), sagte vor einiger Zeit in einem Interview, dass sie vor Schullesungen immer ermahnt wird, ja an die Jungen in der Klasse zu denken. Die lesen viel zu wenig, und da ist es wichtig, dass die besuchende Autorin auf sie eingeht, besonders viel mit ihnen spricht, sie zum Lesen „mitnimmt.“ Erna Osland will nicht. Seit diese Ermahnungen in norwegischen Schulen gang und gäbe sind, spricht sie gezielt die schweigsamen Mädchen an, die nicht zu Wort kommen und nie gefragt werden, was sie denn wirklich gern lesen und was sie gern lesen würden. In einer Mail am 6. 6. sagt Erna Osland, seit dem Interview im vorigen Jahr habe sich nichts geändert, und sie habe nur ausgesprochen, was auch andere Jugendbuchautorinnen denken. Ob es Untersuchungen zum Thema gibt, weiß sie nicht. Das Unbehagen aber ist vorhanden und scheint stetig zu wachsen. Und deshalb gehen wir diesen Fragen jetzt nach.
Leider ein immer noch aktueller Beitrag, wie ich selber (zwar kinderlose Frau aber sehr interessiert daran wie das weibliche Geschlecht im Vergleich zu „damals“ wegkommt) feststellte. Ich bin auch noch in dem Alter wo es noch als okay gilt, animierten Serien und Filme (Anime/Zeichentrick) anzusehen. Und in dem Segment sieht es ja auch leider kaum anders aus als bei den Kinder- und Jugendbüchern. Eventuelle noch ein Stück misogyner aber sonst… ein Mangel an männlichen Personen ist nicht festzustellen – ein Mangel an nicht-pornofizierten starken Mädchen die Freundinnenschaften haben jedoch schon. Und so vieles mehr, das einigen jungen Mädchen und älteren wie mir auf diesem Planeten fehlt.
Ich wünschte mehr Autorinnen würde es geben, die Freundinnenschaften in ihren Geschichten als ein Haupthema behandeln. „Stutenbissigkeiten“ ersticken – aber wo gibt es solche…. Ein weibliches Krimiduo wäre auch etwas tolles. In der Serien „No Offence“ z. B. gibt es drei Hauptfrauen (leider alle weiß was noch verbesserungswürdig ist) die zusammen wenigstens einen Fall lösen. Lustig das die Serie mal wieder nur 1 oder 2 Staffeln bekam und dann auf ein Nimmerwiedersehen eingestellt wurde…
Was aber auch an den Konsumentinnen liegen muss. Viele scheinen gerade weil sie das Geschlecht der Hauptpersonen und die Thematik nicht so genau nehmen zu einer androzentrierten-misogynen Medienlandschaft beizutragen.
Harry Potter verglichen mit der lausigen Hexe ist da auch so ein Beispiel. Oder Erfolgsreihen wie Twilight, in der die weiblichen Personen auch nicht gerade wichtig sind… als Menschen, was der weiblichen Fangemeinde aber schnurz zu sein scheint.
Für solche wie mich bleibt dann gelinde gesagt nur der „Lesbenkram“ (wenn überhaupt) übrig. In dem Segement Anime (und Manga) wären das die Genre Shoujo ai und Yuri. Das sind die einzigen beiden, in denen eine Beziehung zwischen zwei Mädchen als Hauptbestandteil der Story fungiert, und wo der Bechteltest und Mako Mori Test bestanden werden. Die Protagonistinnen erfahren sogar ein Happy End. Leider schwing natürlich als Damoklesschwert mit: beide Genre werden nicht für Leserinnen wie mich produziert, sondern für eine männliche Leserschaft zum Ergeilen….
Wie auch immer. Nur eine Frage noch:
Sollte nicht erst mal hinterfragt werden warum Jungen mehr lesen sollen? Ich verstehe nicht ganz, warum gerade die dazu so „gedrängt“ werden. Vielleicht sollten wir die einfach raus lassen und uns darauf konzentrieren, dass die Leserinnen zu Autorinnen werden, die ihre eigenen Geschichten entwickeln aber auch solche, welche das Band zwischen Frauen stärkt.
Es mangelt sehr an Kameradinnen- Freundinnenschaften usw. die sich NICHT wegen der gemeinsamen verhassten Dritten (femme fatale und vielleicht sogar noch kinderlos), durch die Kinder, den Ex usw. bilden…
Die Hoffnung bleibt solange wir leben, dass sich etwas zum frauenfreundlicheren wendet.
LikeLike
Würden Sie Ihre Entscheidung, ein Buch zu übersetzen oder nicht, davon abhängig machen?
Wie sehen das die Auftraggeber, wenn der Übersetzer eine eigene Meinung hat und sie auch kundtut?
PS: Ich habe einen mittlerweile erwachsenen Sohn. Er las und liest nicht so viel wie ich als Kind/Jugendlicher. Aber er ist auch eher der sehende, nicht der lesende Typ. Gegen eine gute Literaturverfilmung ist nichts einzuwenden. Ich war schon froh, wenn er Zeitschriften und Bücher zu seinem Lieblungsthema „Autos/Oldtimer“ las. Doch als junger Erwachsener begann er, „Klassiker“ zu lesen, eben auch die Bücher zu Filmen, darunter Orson Welles „1984“, aber auch den „Paten“. Man kann niemandem zum Lesen zwingen. Manchmal kommt es eben ein wenig später.
LikeLike