Immer wieder bin ich Männern begegnet, die sich als Feministen bezeichnen. Durchaus mit Stolz und mit der sichtlichen Überzeugung, ethisch auf der richtigen Seite zu stehen.
Doch mir wird’s bei solchen Adaptionen eines feministischen Kampfs um Chancengleichheit durch Männer eher unbehaglich. Warum eigentlich? Erste Frage: Brauchen wir Frauen derartige Charity-Veranstaltungen? Zweite Frage: Welches Interesse hat ein Mann daran, unsere Sache zu befördern, abgesehen davon, dass er Aufmerksamkeit bekommt? Er würde Macht, Erfolg und Einkommen an uns verlieren, wenn er es ernst meint. Dritte Frage: Oder ist es nur eine ritterliche Geste, und damit auch eine uralte männliche Geste?
Egal, ob wir glauben, dass wir den Kampf (beispielsweise von Autorinnen für mehr Anerkennung in den Feuilletons und mehr Literaturpreise) alleine gegen die Männer kämpfen müssen oder aber nur zusammen mit den Männern gewinnen können, ein Manko steckt im Feministen: Als Mann, der Macht, Erfolgschancen und damit Einkommen abgibt, tut er das freiwillig. Er gewährt uns, den weniger chancenreichen Frauen, einen Bonus. Er kann sich jederzeit entscheiden, es nicht mehr zu tun und sogar gegen uns zu kämpfen, zum Beispiel weil er sauer ist, dass wir nicht dankbar genug sind. Wir aber können uns nicht jederzeit entscheiden, keine Diskriminierung mehr zu erleiden. Das ist ein Grundkonflikt im Gestus aller sozial Starken, die sich der sozial Schwächeren annehmen. Hilfe ist manchmal dringend notwendig, aber sich helfen lassen ist eben auch demütigend. Wer gibt, ist der Stärkere, wer nimmt, die Schwächere. Besser wär’s, gleiche Rechte und Chancen wären von vornherein im System verankert.
So aber zementiert der Feminist ein bestehendes Machtgefälle. Mit seiner Großmut demütigt er Frauen. Er zeigt: Ohne mich geht es nicht, ohne mich kriegt ihr das nicht hin. Richtig, ohne Macht kriegen wir eine Verschiebung der gesellschaftlichen Macht zugunsten von Frauen nicht hin. Es sind beispielsweise Politikerinnen und Politiker, die uns hier und dort mehr Rechte und mehr Chancen gewähren. Andererseits sind es die Frauen auf der Straße, die schreibenden Frauen, die fordernden und anklagenden, die politische Prozesse in Gang setzen, also wir selbst für uns selbst. Diesen Egoismus gestehen wir uns aber auch oft genug nicht zu. Wir bringen dann die Männer wieder ins Spiel und betonen, dass es natürlich darum gehe, die Gesellschaft insgesamt besser zu machen, auch für Männer. Dabei vergessen wir, dass wir von unten kommen und nach oben wollen, wo die Männer schon sind. Auch wenn viele einzelne Männer mit dem Status, den sie in unserer durch und durch patriarchalischen Gesellschaft haben und erfüllen müssen, unglücklich sind. Die könnten dann, falls sie das wollen, mehr Elternzeit fordern oder mehr Teilzeit für sich oder kürzere Arbeitszeiten insgesamt. Das käme dann auch Frauen zugute, die wegen ihrer Teilzeit zugunsten der Familie oft Karrierenachteile haben.
Frauen werden nicht bei uns, aber in vielen Teilen der Welt in der Rechtlosigkeit von Minderheiten oder Randgruppen gehalten, obgleich sie die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Auch uns rutscht das immer wieder so durch. Wir haben ein Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, so als ob wir Frauen zu einer kleineren sozial besonders gestellten Gruppe gehören würden. Tun wir aber nicht. Wir stellen die Hälfte der Bevölkerung. Und für unseren Bereich der Literatur gilt: Autorinnen sind als Schreibende genauso gut wie Autoren. Es gibt keinen intellektuellen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Es gibt nur einen sozialen.
Frauen brauchen also keine Hilfe, sie brauchen gleiche Rechte und gleiche Chancen.
Im Prinzip haben wir die in Deutschland. Dennoch manifestieren sie sich genau dort nicht, wo sie nicht einklagbar sind. In der Kunst zum Beispiel oder auf dem freien Markt. In Deutschland schreiben genauso viele Frauen wie Männer gute (und schlechte) Bücher. Nur dass Feuilleton und Literaturbetrieb tendenziell eher Männer für besser halten und prämieren. Völlig grundlos. Dennoch: Wir Frauen können noch so laut „Hier!“ schreien, wir werden trotzdem nicht gleichwertig gewürdigt. (Siehe dazu faz und taz.)
Wie ändert man das? Würden Jurys von Preisgerichten, Kulturämter und Feuilletonchefs (unterstützt von den dort vertretenen Frauen), entscheiden, bei Preisen und Rezensionen, Fernsehauftritten oder Interviews solange nur noch Frauen zu bedenken, bis der Männerüberhang der letzten dreißig Jahre ausgeglichen ist, was wäre das dann? Es wäre ja in der Tat ein feministisches Handeln auch vonseiten der Männer. Allerdings von Männern in einer Institution oder einem Tendenzbetrieb (was die Presse ja ist). Wäre so ein Beschluss auch noch nur gönnerhafte Gnade, wäre er jederzeit zurücknehmbar? Vermutlich nicht. Eine solche Geste wäre derartig öffentlichkeitswirksam, dass die Jurys, Kulturämter und Feuilletonchefs nicht mehr ohne Weiteres dahinter zurück könnten, ohne Protest zu ernten und das Rückschrittliche deutlich zu machen.
Eine Quotenregelung für Literatur, würden dennoch sicherlich viele Autorinnen ablehnen. Weil sie nämlich nicht nur deshalb einen Preis oder eine Rezension bekommen wollen, weil sie Frauen sind. Sie (wir alle) träumen davon, dass die Qualität und Relevanz ihrer Bücher anerkannt würde, ganz unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben. Ist aber nicht so. Damit sind wir beim alten Streit über Frauenquote, ja oder nein. Es ist ja nicht so, dass es gar keine erfolgreichen Frauen gäbe. Es gibt sie ja. Sie stellen eben nur nicht relativ zu ihrem Bevölkerungsabteil die Hälfte der Erfolgreichen. Ohne in die Diskussion einsteigen zu wollen, wie viel Anpassung an patriarchalisch geprägte Regeln (Aussehen, Benehmen, Kleidung, Rhetorik) eine Frau leisten muss, um befördert zu werden, kann man sicher sagen, dass Frauen, welche die mehr oder minder geheimen patriarchalischen Spielregeln weniger gut beherrschen, von einer Frauenquote profitieren. Übrigens auch die Frauen, die sich diesen Spielregeln nicht unterwerfen wollen. Dass wir alle insgeheim ein Bild von einer Karrierefrau oder auch Bestsellerautorin haben – also ein Klischee – zeigt, dass nicht die Vielfalt der Frauen Erfolg hat, sondern bestimmte Frauentypen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Eine Frauenquote (die immer 50 Prozent lauten muss) würde dieselbe Vielfalt von Frauen in soziale und kulturelle Bereiche heben, wie wir sie bei Männern kennen.
Jetzt fallen aber ohne Zweifel auch Männer durchs Raster unserer Gesellschaft, vermissen Anerkennung, sehen sich diskriminiert, darunter sicher auch Literaten, die verkannt werden. Auch Männer bekommen ja nicht alle Chancen, die sie sich wünschen. Wäre dann Feminismus eigentlich ein gemeinsamer Kampf beider Geschlechter für eine Gesellschaft, in der viel mehr Lebensentwürfe und ungewöhnliche Persönlichkeiten Chancen auf Erfolg, Macht und gutes Einkommen haben als derzeit? (Feminismus könnte man das dann allerdings nicht mehr nennen.) Vielleicht. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass es zwei unterschiedliche Ausgangspunkte für Frauen und Männer gibt. Frauen fehlt es an Macht, Einkommen und Anerkennung, Männer müssten Macht, Einkommen und Anerkennung abgeben. Der Blick auf die Organisation der Gesellschaft zeigt, dass nicht das Gros der Männer benachteiligt ist. Frauen verdienen immer noch durchschnittlich weniger als Männer, es kümmern sich immer noch mehr Frauen neben dem Job um Kinder als Männer, es sind immer noch mehr Frauen finanziell von besser verdienenden Männern abhängig als umgekehrt, es sitzen immer noch fast nur Männer in Führungsetagen und Aufsichtsräten, wo das große Geld verdient wird, und es sitzen immer noch überwiegend Männer in Parlamenten und Stadträten, wo Politik für alle gemacht wird. Nach wie vor bestimmen in großer Mehrheit die Männer, wo es langgeht, immer noch werden männliche Autoren öfter besprochen als weibliche, bekommen mehr Literaturpreise und mehr öffentliche Anerkennung.
Will der Feminist wirklich dafür kämpfen, dass nicht er den hoch dotierten Buchpreis bekommt, sondern die Kollegin? Will er wirklich dafür streiten, dass seine weiblichen Konkurrentinnen mehr Rezensionen bekommen (und er dafür weniger), dass nicht sein Buch im Fernsehen besprochen wird, dass sich das Literarische Quartett nicht mit seinem Werk befasst, sondern mit dem seiner Kollegin und so weiter? Will er auf dem hart umkämpften Buch- und Kulturmarkt dafür eintreten, dass die Verkäufe seiner Kolleginnen steigen, während seine eigenen sinken?
Mir fällt es schwer, mir vorzustellen, dass der Feminist gegen sich selbst kämpft. Er steht auch gar nicht dort, wo wir stehen. Er kann die Erfahrungen nicht am eigenen Leib erfahren, die wir machen, vor allem, wenn es um dieses ganz subtile soziale und kulturelle Mobbing gegen Frauen geht, das so schwer dingfest zu machen und Außenstehenden noch schwerer zu vermitteln ist. Und einfach mal in die Rolle einer Frau schlüpfen (wie das in den Sechziger Jahren Weiße gemacht haben, die sich pigmentieren ließen, um die Demütigungen als Schwarze zu erfahren und darüber zu berichten), geht auch nicht. Einem Mann in der Frauenrolle fehlt ja immer noch frühkindliche Sozialisierung zum Mädchen, die ganz tief in uns sitzt und unser Verhalten gerade in Konfliktfällen prägt. Der Feminist, egal wie er es anstellt, will mir also nicht so recht zum Feminismus passen, der für ein Aufrücken von Frauen aufs soziale, finanzielle und kulturelle Niveau der Männer streitet und letztlich dafür, dass nicht mehr das Patriarchat die Regeln festlegt, nach denen wir leben und leben lassen.
Und nicht besprochen haben wir an dieser Stelle die reine physische Macht, die Männer ausüben, die Gewalt, mit der vielerorts auf der Welt Frauen unterworfen werden, und die sexuelle Gewalt, die vom Mann ausgeht. Da kann der Feminist uns eigentlich gar nicht helfen. Außer, dass er das genau so schrecklich und inakzeptabel findet wie wir, aber das ist ja eh eine humane Selbstverständlichkeit.
2012 hat übrigens auch schon mal der Standard auf seiner online-Seite genau diese Diskussion aufgenommen, ob Männer Feministen sein können oder sollten, sehr differenziert. Die Kommentarreaktionen reichen von: Nein, das ist unser Kampf, bis, eine gerechte, diskriminierungsfreie Welt geht alle was an.