Das vergessene Werk der Dichterin – Inge Müller

14642637_1152952478114206_1773734201_nMit Blanche Kommerell aus dem Schatten

Frauen verschwinden – in Küchen, Kinderzimmern und Altenpflege. Und manchmal im Schatten eines übergroßen Mannes. Unsere Gastautorin Sophie Sumburane hat Inge Müller, die „Frau von“ (Sie wissen schon) Heiner Müller entdeckt und möchte Blanche Kommerell bei ihrem unermüdlichen Engagement für die vergessenen Dichterinnen unterstützen. Deshalb darf Ihnen HERLAND heute einen Text von Sophie Sumburane präsentieren:   

Hinter dem Holztisch, der im Alltag ein Café-Tisch ist, in der Potsdamer Buchhandlung Viktoriagarten, sitzt an diesem Abend eine berühmte Frau. Ein DEFA-Kinderstar von einst, Theaterschauspielerin und Dichterin, Dozentin und Trägerin des deutschen Sprachpreises. Blanche Kommerell. Bereits das dritte Mal ist sie hier in Potsdam, denn im Herzen ist sie vor allem eines: Literaturvermittlerin. Regelmäßig tritt Kommerell auch im Berliner Literaturhaus in der Fasanenstraße auf, liest Anne Sexton, Ingeborg Bachmann oder Christine Lavant auf ihre unnachahmliche Weise und gibt so Autorinnen eine Bühne, die kaum einer mehr kennt. Und so hebt auch nur einer die Hand auf die Frage, wer Inge Müller kennt. Inge Müller, vor 60 Jahren verstorben, zu Lebzeiten sich quälend, im Tod Projektionsfläche für so manche Erzählung, doch immer wieder in erster Linie das: „die Frau von“ Heiner Müller.

14658167_1152952298114224_105089300_nDas Inge Müller jedoch sehr viel mehr war, als „die Frau von“ ist es, was Blanche Kommerell durch ihre Lesungen und Erzählungen, in ihrem literarischen Essay und dem verarbeiteten Gespräch mit Heiner Müller auszudrücken sucht. All das, gesammelt in einem grafisch gestalteten Band hatte sie am gestrigen Abend dabei. „Inge Müller: Ich will alles von der Welt“ heißt er und bringt dem Zuhörer eine verletzliche, vom Krieg traumatisierte Frau näher, die 1945 zusammen mit einem Hund unter einem Haus drei Tage verschüttet lag: Als ich Wasser holte // fiel ein Haus auf mich // Wir haben das Haus getragen // Der vergessene Hund und ich. (…). Es sind ihre Gedichte, so beschreibt Kommerell in ihrem Essay, durch die sie Inge Müller kennengelernt hat, durch die sie sie verstehen gelernt hat. Nicht das, was über sie erzählt wird, sondern das, was sie selbst darin über sich erzählt. Und sie erzählt viel, die Dichterin Inge Müller, die alkoholsüchtig und depressiv sich regelmäßigen Suizidversuchen hingebend, immer mehr in sich selbst zurück ziehend, eine Mauer um sich baut und nur in den Gedichten sagt, was sie denkt. Gedichten von Krieg und Tod, Einsamkeit und Liebe, der Liebe zu Heiner Müller, die zunächst fruchtbar war, doch schließlich immer zerstörerischer wurde. Sie, die Suchende, die getrieben zu sein scheint, durch die Kriegstraumata, nicht zur Ruhe kommen kann und schreiben muss, jedoch nie zu nennenswertem Erfolg kommt, neben ihm, dem immer größer werdenden Heiner Müller, der letztlich seine Frau aus ihrer gemeinsamen Arbeit drängt, ihren Namen aus Kooperationen tilgt und sie 20 Jahre nach dem sie unter Schutt begraben lag, nun unter seinem Schatten begräbt.

Einfühlsam und kenntnisreich erzählt Blanche Kommerell von Inge Müller, der vergessenen Dichterin, die sie selbst ein paar Mal am Maxim Gorki Theater sah, wo Ruth Kommerell, Blanches Mutter, als Schauspielerin in Heiner und Inge Müllers Stücken spielte – in einer Rolle, die Inge Müller in eine Szene geschrieben hatte. Eine Rolle, die Heiner Müller schließlich strich. Wie Inges Namen. Sie habe schließlich nie etwas für die vier Stücke, die ihnen beiden zugeschrieben wurden, geschrieben, sagte Heiner Müller 1989 in einem Gespräch mit Blanche Kommerell. So sah er sie denn mehr als Mitarbeiterin, denn als gleichwertige Partnerin und mit zunehmendem Beziehungsalter schlossen er und die gemeinsamen Freunde sie zunehmend aus. Unausstehlich soll sie gewesen sein, wenn sie getrunken habe, sie riss jedes Gespräch an sich, so Heiner Müller. Weil ich euch freund sein wollte // Einfach so // Stellt ihr mich an den Pranger // Mitte des Dorfs: Teich und der Anger // Ich wollte wir wärn nicht so. (…), beschrieb die Autorin selbst in einem ihrer Gedichte. Und: Wo sind eure Stimmen? Kein Echo? Schon // Ist alles leer, ich find nicht was ich hab // Und geh und wasche für morgen // Die Teetassen ab. Während Heiner sich also mit seinen Dichter Freunden trifft, die einst auch Inges Freunde waren, ist sie dazu degradiert, für den Getränkenachschub zu sorgen.

Blanche Kommerell ist eine unermüdliche Frau, der ich sehr dankbar bin. Nur durch ihre Arbeit habe ich die radikalen, existenziellen Gedichte Inge Müllers kennen gelernt.

„Niemand tut mehr etwas für sie. Am 01. Juni war ihr 60. Todestag. Keine Würdigung, Sonderausgabe, nichts. Nicht einmal ihr Verlag hat etwas gebracht“, konstatiert Blanche Kommerell. Dabei sind Inge Müllers Gedichte zeitlos und aktuell zu gleich. Viele der Bilder, die sie aufmacht, sehen wir gerade heute wieder auf allen Kanälen, die Traumata, die sie erlebte, erleben heute wieder Tausende, gerade jetzt, in diesem Moment: Ich sah die Welt in Trümmern // Noch hatte ich nichts von der Welt gesehn // Ich sah den Tod und die Gewalt // Noch eh ich jung war, war ich alt // und wußte, ohne zu verstehen. // Ich lernte Tote bergen (…).

Erst 20 Jahre nach Inge Müllers Tod erschien ein Sammelband mit einem Teil ihrer Gedichte. Zu Lebzeiten erschienen nur eine handvoll. Es waren vor allem Kindergeschichten, wie Wölfchen Ungestüm, die von ihr gedruckt wurden. Kindergeschichten, das passt wohl einfach besser zu einer Autorin. Bis heute sind viele ihrer Texte unveröffentlicht, denn als „Frau von“ Heiner Müller, der ihre Arbeit negierte und für sich reklamierte, lief sie sprichwörtlich gegen Betonmauern. Auch das, so schreibt Kommerell, wird ein Grund gewesen sein, warum der letzte Versuch schließlich glückte und Inge Müller am Kindertag des Jahres 1966 durch Suizid starb. Heute hält ihr Sohn, Bernd Müller, die Rechte an ihren Texten, von denen Blanche Kommerell schon vor Heiner Müllers Tod 1995 mit dessen Genehmigung einige in ihren Band aufnahm.

51h15kovhal-_sx350_bo1204203200_„Ich lese gern auch vor wenigen Zuhörern“, sagt Blanche Kommerell schließlich am Ende ihrer fast schon szenischen Lesung. Die ausgebildete Schauspielerin hat eine unnachahmliche Art, Lyrik vorzutragen. Durch sie erhält jedes Gedicht seinen eigenen Rhythmus, einen Klang, der fast schon Musik ist. „Jeden, den ich mit meinen Lesungen erreiche, erreiche ich gern. Und wenn es nur einer ist.“

Mich hat sie erreicht, die Literaturvermittlerin aus Berlin, die so unermüdlich dafür arbeitet, vergessene Dichterfrauen nicht mehr zu „Frauen von Dichtern“, sondern als „dichtenden Frauen“ zu würdigen. Das was sie waren, was sie sind und sein werden.

Sophie Sumburane

Blanche Kommerell, „Inge Müller: Ich will alles von der Welt“ Bübül Verlag Berlin. Juni 2016.

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