Literaturpreis feiert Geschichte eines Frauenmörders

Herland chl.JPGDer Wilhelm-Raabe-Literaturpreis von Deutschlandfunk und der Stadt Braunschweig geht nicht nur schon wieder an einem Mann, sondern feiert dieses Jahr auch noch den hasserfüllten Blick eines Frauenmörders auf Frauen. Nur drei Mal haben seit 2000 Frauen die Auszeichnung bekommen, die immerhin mit 30.000 Euro  dotiert ist, aber schon neun mal männliche Autoren.  Herland wünscht der Jury des Wilhelm-Raabe-Literaturpreises – und allen anderen Jurys der diesjährigen Literaturpreisrunde – deshalb für die Zukunft einen glücklicheren Blick für die gute Literatur, die von Frauen geschrieben wird

Heuer findet die Jury  leider den Roman „Der goldene Handschuh“ besonders toll. Heinz Strunk schreibt über den Hamburger Serienmörders Honka. Es geht  um Alkoholexzesse, Sex, soziale Verwahrlosung und Gewaltverbrechen. Und er schreibt auch nicht eigentlich über diesen Mörder, sondern überwiegend aus dessen Perspektive.  Honka ermordete reihenweise Prostituierte. Als erste eine Friseurin und Gelegenheitsnutte, die nicht mit ihm schlafen wollte. Sein nächstes Opfer war eine Prostituierte, deren Aktivität er als lustlos empfand.  Und so ging es weiter. Ich erspare uns die Hasstirade auf Frauen, der sich in den Verbrechen offenbart.

Die Jury begründete ihre Entscheidung mit  der Feststellung, „Strunk nutze die gut recherchierte Geschichte des Hamburger Frauenmörders Fritz Honka für eine intime Begegnung mit den sozial Ausgeschlossenen der deutschen Nachkriegsgesellschaft.“ Sie bescheinigt dem Autor sprachliche und erzählerische Virtuosität und eine gewisse Diskretion, was ich nicht in Abrede stelle. Sicher ein gutes Buch. Aber ich werde es nicht lesen. Gelesen und analysiert hat es hier auf Herland  Anne Kuhlmeyer.

Mich entsetzt, dass offensichtlich die  Perspektive des Frauenmörders immer noch so attraktiv ist in den Jury-Salons. Offensichtlich gibt es ihn immer noch, diesen Voyeurismus, mit dem Leserinnen und Leser lustvoll schaudernd bei den Todesstrafen zuschauen die Männer über Frauen verhängen, und den Begründungen folgen, aus denen Männer Frauen erniedrigen, foltern und hinrichten. „Sie hat nicht getan, was ich gesagt habe. Also musste sie sterben.“ Offenbar hat die männliche Begründung für Mord immer noch genügend Zugkraft, um als Erkenntnis behandelt zu werden, beispielsweise über ein „symptomatisches Kapitel“ aus der Geschichte der BRD. Dabei kennen wir diese Geschichten zur Genüge aus allen Zeiten. Wir kennen solche Gewaltgeschichten auswendig, wir können sie jeden Tag im Fernsehen sehen, real oder fiktiv. Und sie  schmerzen immer, weil sie den Opfern, uns Frauen, niemals einen Ausweg lassen. Und um so mehr, wenn sie uns auch noch zwingen, uns in den Täter hineinzuversetzen, mit seinen Augen auf uns zu schauen, mit seinen Händen zu töten. Ein Roman über einen Serienmörder mag Lokalkolorit enthalten und Gerichtsakten referieren, aber er verhilft uns zu keinerlei neuen Erkenntnis. Er bestätigt nur das Bekannte, das Vertraute. Auch dass unsere Gesellschaft und unsere männlich dominierte Kultur (ja, sicher waren auch Frauen in der Jury) immer noch irrsinnig fasziniert ist von Gewalt gegen Frauen. Das ist allerdings symptomatisch.

Serienmörder sind übrigens nichts, womit sich eine Epoche erklären ließe oder die aus den Verhältnissen einer Gesellschaft heraus erklärt werden könnten. Serienmörder gibt es immer, sie sind nicht typisch für eine Epoche, und sie sind so selten in einer Gesellschaft, dass man ihre Anzahl nicht mal in Prozent beziffern kann.

 

 

Über Christine Lehmann

Radbloggerin, Krimiautorin, Literaturwissenschaftlerin, Stadträtin in Stuttgart
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Eine Antwort zu Literaturpreis feiert Geschichte eines Frauenmörders

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