Warum ich hier ankam
Zoë Beck
Ich habe vor zwanzig Jahren verstanden, warum es damals mit mir und der Bühne nicht geklappt hat. Ein paar klassische Musiker (alle männlich) und ich unterhielten uns darüber, warum es so wenige bekannte Pianistinnen gab.
“Weil man da keine Frauen braucht”, sagte einer. “Frauen braucht man nur zum Singen.” Er meinte das gar nicht böse. Er stellte im Grunde nur fest.
“Martha Argerich”, sagte ich.
“Die spielt ja auch wie drei Männer”, sagte ein anderer.
Ich denke, damit ist über den Bereich der klassischen Musik und dem Verhältnis zu Frauen schon ungefähr alles gesagt.
Ich hatte auch davor schon immer wieder gehört, dass dort für Frauen kaum Platz war, aber ich hatte es nie wirklich glauben wollen, ich war ja noch jung. Zu der Zeit, als diese Unterhaltung stattfand, hatte ich mich sowieso schon von der Bühne verabschiedet.
Mein erstes Konzert gab ich mit fünf. Meinen ersten Wettbewerb gewann ich mit sechs. Mit zwölf spielte ich mein erstes Klavierkonzert mit Orchester. Man könnte sagen, es lief gut an, und es lief sehr gut weiter. Ich hatte einen exzellenten Lehrer, dem es vollkommen egal war, dass ich ein Mädchen war, also machte ich mir darüber auch nie Gedanken. Bis ich etwas älter wurde, sagen wir Pubertät, und mir irgendwelche Leute – nicht mein Lehrer – sagten, wie ich mich anzuziehen hätte.
Als Mädchen.
Wie ich die Haare zu tragen hätte.
Als Mädchen.
Das löste bei mir eher Gegenreaktionen aus. Unter “mädchenhaftem Aussehen” lief bei mir etwas, das nicht zu meinem Selbstbild passte. Spitzenblüschen und Faltenrock. Ich ging also einen anderen Weg. Äußerlich irgendwo zwischen Punk und Goth spielte ich weiter. Es gab aufgebrachte Diskussionen am Rande von Jugend musiziert, und die Jurorinnen und Juroren wussten mit mir nicht umzugehen.
“Als Mädchen kannst du dir das nicht erlauben”, hieß es. Die Erfahrung machte ich ständig. Was man sich als Mädchen alles nicht erlauben konnte. Dass man als Mädchen angepasster sein musste. Als Junge weniger. Als Junge darf man auch mal durchknallen, das gehört dazu, so sind die Jungs. Originell, rebellisch.
Mein Klavierlehrer tat für mich, was er konnte, aber ich hielt den Druck, der von allen Seiten kam, nicht aus. Als er starb, hatte ich gar keinen Rückhalt mehr. Mein letztes Solokonzert endete mit einem Blackout während der Coda der Brahms-Rhapsodie Nr. 1 in B-Moll. Ein Stück, dass ich eigentlich seit Jahren im Schlaf beherrschte.
Danach konnte ich keinen einzigen Ton mehr vor Publikum spielen. Bis heute.
“Nicht schlimm”, hieß es. “Als Frau macht man sowieso keine Karriere, da wird man höchstens Klavierlehrerin.” – “Ist doch ein schönes Hobby”, sagte man mir. “Viele Frauen spielen gern Klavier. Das können sie dann ihren Kindern beibringen.”
Die Klavier spielende Frau als schmückendes Beiwerk – einerseits. Martha Argerich, die auch gern die “Löwin am Klavier” genannt wird – andererseits. Sie ist eine Ausnahmeerscheinung, weil sie hervorragend spielt, und – weil sie eine der ganz, ganz wenigen Frauen ist, die wirklich weltbekannt sind. Aber sie musste “wie drei Männer” spielen, um weltbekannt zu werden.
Es hat sich im klassischen Bereich in den letzten zwanzig Jahren nicht sehr viel geändert, fürchte ich. Jetzt arbeite ich in der Buchbranche und stehe seit zehn Jahren wieder auf Bühnen, nur eben ohne Klavier. Und obwohl es so viele Frauen in unserer Branche gibt, herrscht ein seltsames Ungleichgewicht. Was Führungspositionen angeht. Was Inhalte angeht. Wie schreibende Frauen in der Presse wahrgenommen werden. Wie der Begriff Frauenliteratur heute, im Vergleich zu den Siebzigern/Achtzigern, benutzt wird. Und so weiter. Ich finde es wichtig und wunderbar, dass wir uns zusammentun in unserer Verschiedenartigkeit und Vielfalt und uns gegenseitig darin unterstützen, unsere Stimmen zu finden, zu behalten und einzusetzen.
Deshalb HERLAND.