(Diesen Text schrieb ich vor zwei Jahren. Aktuell ist er immer noch. Nur dass ich jetzt einundvierzig bin. 🙂 )
Letztens war ich im Kongress-Stress. Ich hatte bereits einige Diskussionsrunden hinter mir, durchweg mit dem Grundton „Früher war alles besser“. Sie wurden in der Mehrzahl dominiert von älteren Herren, die das Internet und die Digitalisierung in der Buchbranche für eine flüchtige, dennoch ärgerliche Modeerscheinung halten. Kein Wunder, dass ich mit Begeisterung zu einer davon unabhängigen Abendveranstaltung eilte, bei der ich garantiert keinem dieser Herren über den Weg laufen würde. Eingeladen hatte nämlich ein, sagen wir mal, größerer Internetkonzern, und das Programm verhieß aktuelle, zukunftsweisende Themen. Oh, wie ich mich darauf freute, in den kommenden Stunden endlich wieder nach vorn schauen zu können. Oder wenigstens im Jahr 2014 bleiben zu dürfen.
Umso überraschter war ich, als mich ein Mitarbeiter des Veranstalters mitten im ansonsten netten Gespräch mit den Worten bedachte: „Aber um zu wissen, wie Berlin vor zehn Jahren aussah, sind Sie noch zu jung.“
Ich hatte mir von den vergangenheitsverliebten Herren auf dem Kongress schon tagelang ähnlichen Unsinn anhören müssen. „Kindchen“, hatten sie zu mir gesagt, oder „Als ich noch in Ihrem Alter war“. Nun ist es so: Ich weiß, es gibt eine ganze Menge Dinge, die ich noch lernen muss und will, keine Frage, ich bin neununddreißig und hatte nicht vor, mit dem Leben und Lernen abzuschließen. Das Problem ist nur, dass die besagten Herren es anders meinen.
Wenn sie so etwas sagen, sagen sie in Wirklichkeit: „Egal, wie alt du bist, du wirst nie dort sein, wo wir sind.“
Ich bin nämlich – na ja, eben kein älterer Herr. Kein Mann, was wohl das Hauptproblem ist. Und dieses Problem hätte ich bei dieser auf die Zukunft ausgerichteten Veranstaltung nicht erwartet. Ich hakte also bei meinem Gesprächspartner nach, der, wie sich herausstellte, fünf Jahre älter war als ich, und er versuchte, sich mit der Ausrede, ein Kompliment gemacht zu haben, herauszuwinden. Wäre der Abend anders verlaufen, ich hätte es vergessen. Auf der Bühne sah ich allerdings ausschließlich Männer. Mit Ausnahme der Moderatorin, die die männliche Dominanz versuchte, scherzhaft aufzunehmen und auf das Publikum zurückzuspielen. Überflüssig zu sagen, dass das Publikum fast ausschließlich aus Männern bestand. Natürlich hielt man mich beim geselligen Ausklang stets für die Begleitung des jeweiligen Herrn, neben dem ich zufällig stand. Dass ich auf der offiziellen Einladungsliste war wie alle anderen, auf die Idee kam kaum jemand.
Ich besinne mich in solche Situationen gern darauf, was einmal eine Soziologieprofessorin gesagt hat: „Frauen, wenn ihr mitspielen wollt, müsst ihr euch mit Autos und Fußball auskennen.“ Ich schaffte es bei den Internetmännern mit meinem Wissen über Star Trek und diverse Smartphone-Apps, die anwesenden Herren aus der Politik überzeugte ich als lebendes Whiskylexikon und mit meinem Mitgliedsausweis für einen englischen Debattierclub. Männerthemen kann ich. Und das noch nicht mal aus Berechnung. Sondern einfach so. Wie übrigens sehr viele Frauen.
Und genau deshalb habe ich nie verstanden, warum es so läuft, warum es heute immer noch so läuft. Vor zwanzig Jahren, als ich mit dem Studium anfing, war ich davon überzeugt gewesen, dass sich diese Diskussionen um „Männer sind so, Frauen so“ irgendwann erledigt haben würden. „Irgendwann“ im Sinne von: spätestens, wenn ich mit dem Studium fertig sein würde. Das bin ich nun seit fünfzehn Jahren. Und dann steht heute jemand neben mir, nennt mich „Kindchen“ und hält es für ein Kompliment.
Wie auch immer, ich brachte den Abend doch noch ganz gut über die Bühne. Ich war ja nicht zum ersten Mal eine von fünf bis zehn Prozent Frauen. Ich habe darin jahrzehntelange Übung. Halbwegs versöhnt wollte ich gerade die Veranstaltung verlassen, als mir ein Herr sein leeres Weinglas hinhielt und sagte: „Hier, Fräulein, bitte.“ Er brauchte zehn Sekunden zu lang, um zu merken, dass ich nicht die Bedienung war. Und ich konnte ihm fast nicht böse sein, weil die meisten der anwesenden Frauen Tabletts mit sich herumtrugen und Getränke verteilten. Ich sagte: „Schaun Sie mal, da vorn ist die Theke. Schaffen Sie das allein? Sie sind doch schon groß.“ Das fand er nicht lustig. Seine Kollegen schon. Das machte mir Hoffnung.
(Zoë Beck)