von Anne Goldmann
Es sagt viel über unsere Gesellschaft aus, wenn betont und plakatiert werden muss, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist. Wenn die Wogen nur deshalb hochgehen, weil jemand die Dinge beim Namen nennt. Wo, frage ich mich, bleibt denn die Empörung darüber, dass Menschen, hier größtenteils Frauen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, nach wie vor in einer Art und Weise von Gesellschaft und Politik stigmatisiert und behandelt werden, die dem Recht auf Menschenwürde Hohn spricht?
Das Stigma zwingt viele Frauen zu einem Doppelleben und verhindert, dass sie sich entsprechend organisieren und offen für ihre Forderungen kämpfen können. Unter den derzeitigen Umständen käme dies für die meisten einem sozialen Selbstmord gleich. Wo sind die Gesetze, die sie allen anderen gleichstellen? Es ist hoch an der Zeit.
Wie in Stuttgart sind auch in Wien die Prostituierten/Sexarbeiterinnen zum Großteil von der Bildfläche verschwunden – in Laufhäuser, die sie isolieren und in Abhängigkeit von den Betreibern bringen. Der Straßenstrich, bis vor wenigen Jahren in belebten Gebieten mitten in der Stadt (Gürtel, Äußere Mariahilfer Straße, …) angesiedelt, wurde in abgelegene (und damit für die Frauen gefährliche) Gegenden an der Peripherie verbannt. Was man nicht sieht … Problem gelöst.
Ich finde die Plakate großartig, weil sie weder moralisieren noch werten, sondern schlicht feststellen – in klarer präziser Sprache. Weil sie das Thema nicht den selbsternannten und tatsächlichen Expert*innen überlassen, zwischen denen mittlerweile so etwas wie ein „Glaubenskrieg“ entbrannt ist, der über die Köpfe der Betroffenen hinwegrauscht, aber maßgeblich – und mit weitreichenden Folgen – in ihre Lebensrealität einzugreifen droht. Die Plakate holen das Thema in die Gesellschaft herein, in den Alltag, wo es meines Erachtens auch hingehört. Sie rütteln an den Bildern und Sicherheiten der Bürger*innen (jeder zweite Mann …) und zwingen zu einer Auseinandersetzung mit sich selber im Umgang mit einem Thema, das von Klischees, Mythen, Halbwahrheiten und Vorurteilen geprägt ist.
„Eine Hur‘ kann man nicht vergewaltigen“
Es ist fünfzehn Jahre her, aber noch immer beschleunigt mein Puls beim Gedanken an eine Gerichtsverhandlung, in der der Angeklagte sich mit dem Ankläger einer Meinung wusste und auch der Richter ein bestürzendes Frauenbild präsentierte. Ein Einzelfall, bestimmt. Der Standard berichtete – hier.
So unverblümt, würde man meinen, zeigt (außer im Schutz der Anonymität des Internets) heute kaum noch jemand, wes Geistes Kind er ist. Tatsächlich war ich aber auch in den letzten Jahren im beruflichen Umfeld immer wieder mit Aussagen konfrontiert, die in diese Richtung gehen. Ich erinnere mich an Beamte in der Justizanstalt, in der ich gearbeitet habe, die ähnlich agierten, einen bekannten Strafverteidiger, der sich anlässlich der Kontradiktorischen Vernehmung ausgesprochen abfällig über die Geschädigte (ich halte den Begriff „Opfer“ für problematisch), eine Sexarbeiterin, äußerte, selbstsicher grinsend um sich blickte – und sichtlich erstaunt war, rundum abweisende Blicke zu ernten. Einzelfälle, bestimmt.
Ich bin einiges gewohnt, aber nicht bereit, mich daran zu gewöhnen. Darüber hinwegzugehen.
Ich arbeite schon lange mit Straffälligen und habe immer wieder Männer (während der Haft wie im extramuralen Bereich) betreut, die sich „im Rotlichtmilieu“ bewegen. Ich kenne also mehrere Puffs von innen und habe einiges über die Strukturen und Bedingungen, unter denen die dort tätigen Frauen anschaff(t)en, mitgekriegt. Klar wurde auch versucht, das Bild zu schönen. „Oft schlimme Zustände, klar. Wir sind nicht so. Alles freiwillig, alles korrekt. Keine Zuhälter, keine Gewalt.“ Geschäftsmänner. Demonstrativ freundschaftlicher Umgang mit den Frauen. Alles bestens.
Diese Außendarstellung wird augenscheinlich von vielen gerne übernommen: Ich sehe nur, was ich mir zumuten will. Will meine Bilder bestätigt sehen. (Das gilt auch in die andere Richtung.) Nicht nur Freier verdrängen und blenden eine Menge aus! Eine Zeitlang waren Lesungen und sonstige Veranstaltungen in Rotlichtlokalen hip. Reinschnuppern, dabei sein, ohne sich schmutzig zu machen. Alles so authentisch, so nah dran. Cool. Es gäbe auch einiges über die Faszination des Rotlichts auf Schriftsteller zu sagen. Ich fand und finde es trostlos.
Nach wie vor erstaunt mich, wie offen „Kunden“ über ihre Erfahrungen sprechen. Ich rede hier nicht von Freierforen, wo Frauen wie ein Stück Fleisch gedreht, gewendet, betatscht und bewertet werden. Im Gegensatz zu Freunden, Bekannten und Kollegen (jeder zweite Mann …) reden meine Klienten ohne Scheu und Zurückhaltung über ihre Besuche im Laufhaus, im Puff. Beides, der Umgang mit dem Verleugnen der einen wie mit der Offenheit der anderen bringen mich immer wieder an meine Grenzen. Meine Klienten unterscheiden sich, so vermute ich wenigstens, nicht wesentlich von den Freiern, die nicht darüber sprechen. Ich treffe auf eine erstaunliche Unbefangenheit, die in der Auseinandersetzung immerhin einer gewissen Verunsicherung weicht, weil die Verdrängung nicht weiter aufrechterhalten werden kann (bis zur Empathie ist es freilich ein langer Weg). Immer wieder auch einer selbstverständlichen Konsumhaltung, die mich fassungslos macht. Rettungsphantasien. Treffe auf Versuche, sich Nähe zu kaufen. Auf abgrundtiefe Verachtung. Hass auf Frauen. Und alles dazwischen.
„Verkauf von Sex und den Verdienst daran (ist) schäbig und dreckig“ (Ursula Engelen-Kefer, ehemal. Vizechefin des DGB)
Die erste Sexarbeiterin habe ich als Mitbewohnerin im Student*innenheim kennengelernt. Sie hat sich so ihr Studium finanziert. Was verbindet sie mit der jungen Frau, ein halbes Kind, um die ich lange gekämpft und gezittert habe, nachdem ein völlig durchgeknallter Typ, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, sie tagtäglich zwei Schichten auf den Strich gestellt, zu isolieren versucht, terrorisiert und misshandelt hat? (Sie hat es mit Unterstützung in mehreren Anläufen geschafft, da rauszukommen.) Was die beiden mit der Frau, die als Sexarbeiterin tätig ist und mit Mann und Kindern lebt? Mit allen anderen so verschiedenen Persönlichkeiten, denen ich im Laufe der letzten Jahre begegnet bin? Ich kenne nur einen kleinen Ausschnitt dieser ihrer Welt, obwohl ich vermutlich um einiges näher dran bin als viele, die ganz genau wissen, was richtig, was falsch, was gut, was schlecht ist für die Frauen, Männer und Transpersonen, die der Prostitution/Sexarbeit nachgehen.
Ich weiß es nicht. Ist auch nicht notwendig. Jede/r von ihnen hat eine eigene Stimme, bestimmte Vorstellungen und Bedürfnisse und ist – wie jeder andere Mensch auch – imstande, für sich und ihr bzw. sein Leben selbst Entscheidungen zu treffen. Die Grundlage dafür ist eine gesicherte rechtliche Gleichstellung und Entstigmatisierung sowie unsere (der Abgesicherten, vom Gesetz Geschützten) Bereitschaft, dafür einzutreten und die eigene Befindlichkeit ausnahmsweise einmal hintanzustellen.
Wie stoppt man nun Armuts- und Zwangsprostitution? Indem man die Freier bestraft? Auf den ersten Blick funktioniert das sicher: Es „verschwindet“ auch die Prostitution. Zu einem guten Teil wenigstens. Aus unseren Augen nämlich. Eine einfache saubere Lösung: Das „Problem“ wird unsichtbar. Es wäre gut, die ideologische und moralische Brille kurz abzusetzen, einmal durchzuatmen und sich andere Ansätze zumindest anzusehen. Schon aus Respekt vor den Menschen, die es betrifft.
Links zum Thema:
Manifest der Sexarbeiter*innen in Europa
Appell gegen Prostitution (Emma)
Sex und sein Charakter (der Freitag)
Liebe Anna, dein Eintrag enthält viele interessante und gute Aspekte. Danke dafür.
Ich möchte jedoch zu dem Abschluss noch „meinen Senf“ dazugeben, den ich weniger gelungen finde.
Das Nordische Modell wird häufig verkürzt auf die Kriminalisierung des Sexkaufs. Dies führt dann dazu, dass es zu solchen Fehleinschätzungen kommt, dass Prostitution lediglich „in den Untergrund“ wandert.
Korrekt ist aber, dass das Sexkaufverbot nur ein Baustein in einem umfassenden Maßnahmenpaket ist. Das Nordische Modell umfasst (u.a.):
– Antisexistische Erziehung in allen Altersstufen (wobei Kinder bereits von klein auf lernen, dass Menschen nicht käuflich sind und Frauen mit Respekt zu behandeln
– öffentliche Sensibilisierungskampagnen (ähnlich wie die in Stuttgart)
– umfangreiche Ausstiegs- und Beratungsangebote (In Stpckholm zB wo es viel weniger prostituierte Personen gibt als hier bei mir in Wiesbaden gibt es 21 Streetworkerinnen – hier in Wiesbaden keine einzige)
– Beratungsangebote auch für Sexkäufer (die sehr gut angenommen werden)
– uvm.
Alle Evaluationen zeigen, dass SozialarbeiterInnen ihr Klientel genauso gut finden können wie die Sexkäufer auch (oder die Polizei die Freier), dass die Prostitutionsmärkte kleiner werden, dass die Verdienste durch die abnehmende Konkurrenz steigen, etc.
Außerdem habe ich es noch auf keinem meiner Vorträge in Skandinavien mit sich offen bekennenden Sexkäufern zu tun gehabt, weil der Sexkauf eben gesellschaftlich stigmatisiert ist (Stigmaverschiebung dorthin wo es hingehört) – in Deutschland dauert es hingegen meist keine 5 Minuten, bis jemand sich offen, oft fast schon stolz, dazu bekennt und sein Recht auf Frauenkauf verteidigt.
Vielleicht schaust du mal bei http://www.abolition2014.de rein?
Herzliche Grüße
Manu
LikeGefällt 3 Personen
Sehr geehrte Frau Goldmann,
sehr erfrischend Ihre Ausführungen, von nüchternem Pragmatismus und den Kern der Sache, nämlich Diskriminierung und Stigmatisierung, anprangernd. Ohne jegliche „Moralisierung“ oder ideologische Färbung.
In der Tat ist das Thema extrem vielschichtig und es gibt sicherlich keine einheitliche „Lösung“ (der es m.E. auch gar nicht bedarf, soweit Prostituierte ihrem Job selbstbestimmt nachgehen). Leider wird von beiden Seiten, „Pro Prostitution“ und „Abolitionisten“ jeweils stets das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und eine differenzierte Betrachtungsweise wird von allen Seiten „abgewatscht“. Ähnlich wie in anderen Bereichen derzeit, wo man je nach Detailmeinung in eine Nazi- oder Gutmenschschublade gesteckt wird, mal so mal so. Und dabei dann irgendwann jegliche Bereitschaft zu einem inhaltlich-sachlichen Diskurs verliert. Zumal die Interessengemengelagen beider Seiten (und bei beiderlei Geschlecht) einen Blick auf manche Argumente und die dahinter stehenden Motivationen leicht zu verkleistern vermögen, erst recht, wenn ein Gegenüber sich irgendwie angegriffen und in seinen (berechtigten oder unberechtigten) Interessen eingeschränkt fühlt.
Der eigentlich einzige Punkt, der mir in Ihrem Kommentar noch offen zu bleiben scheint, ganz am Ende, nämlich welche „anderen Ansätze“ denn sinnvollerweise erörtert werden könnten, insbesondere welche „anderen Ansätze“ denn der Stigmatisierung und der daraus logischerweise folgenden „Wagenburgbildung“ entgegen wirken könnten. Bzw. welche „anderen Ansätze“ denn überhaupt gleichsam ent-ideologisiert und ent-moralisiert sind und der rein sachbezogenen Problemlösung dienen könnten, dort wo tatsächlich Probleme vorliegen (eine Domina in ihrem eigenen Studio würde ich beispielsweise eher nicht problembeladen sehen, vom Stigma abgesehen).
Mit besten Grüßen,
Bernhard
@ Liebe Vorrednerin: erwägen Sie doch mal, dass Ihre „Stigmaverschiebung“ nichts anderes ist, als eine Verdrängung ins Unsichtbare. Sobald Sie Programme durchgesetzt haben und diese auch finanziert werden, in denen beispielsweise alleinerziehende Frauen der „Branche“, ohne guten Schulabschluss, (davon gibt es nicht wenige) eine qualifizierende (!) Ausbildung erlangen können – und zwar ohne die Prostitutionstätigkeit aus wirtschaftlichen Gründen fortsetzen zu müssen – dann könnte ich Ihnen ein „feministisches“ Engagement abnehmen. Der status quo ist aber vielmehr, dass beispielsweise eine alleinerziehende Mutter von 2 Kindern nur die Wahl zwischen Pest und Cholera (Ihrer Lesart) hat. Pest = Hartz 4 mit steten Versuchen der Agentur sie in Billigjobs zu vermitteln, wie „Callcenter“, was eher einer völlig unterbezahlten Tretmühle entspricht, die selten jemand mehr als 2 Jahre durchhält (machen Sie solch einen Job mal nur eine Woche). Sogenannte „Qualizierungsmaßnahmen“ der Agentur setzen nämlich nicht etwa auf die Erlangung eines guten Ausbildungsabschlusses, sondern ausschließlich auf eine schnellstmögliche Vermittlung in Niedriglohnjobs („Frauenberufe“). Ich werde nie verstehen, dass von feministischer Seite nicht dieses Manko staatlicher Lenkung plakativ und schärfstens angeprangert wird, und zwar als das was es ist: ein gewaltiger „push“ Faktor gegen sozial schwache Frauen und in die Prostitution hinein („Cholera“). Denn (ausbildungswillige) Frauen in dieser Situation können kaum anders, als die eigene (Rest-) Familie mittels der Prostitution zu finanzieren, zugleich der Kinderfürsorge einigermaßen nachzukommen UND (sofern weitsichtig) sich um die eigene Ausbildung oder sonstige Ansätze einer späteren „milieu“-fernen Erwerbstätigkeit anzustreben und dafür finanzielle Grundlagen zu legen.
Solange sozial schwachen Frauen, aus welchen persönlichen Historien heraus auch immer, der Weg aus der sozialen Schwäche heraus regelrecht verbaut wird (was mir geschlechtsspezifisch scheint) und nicht diese Ursachen beseitigt werden, wird sich sicherlich in der Praxis nicht viel ändern und Sie werden hinnehmen müssen, dass Geschlechtsgenossinnen mitunter auch den Weg in die Prostitution beschreiten, um auch ein wenig an einem „besseren Leben“ partizipieren zu können oder dies auch nur ihren Kindern zu ermöglichen.
Dabei habe ich hier noch gar nicht die Problematik der Armutsmigration angesprochen, ein nochmals anderes und abendfüllendes Thema, bei welchem Prostitution nur ein Teilaspekt und das viel umfassender ist (z.B. Stichwort „Bauarbeiterstrich“, oder „Illegale“ = Unsichtbare, siehe auch ein Projekt von „Correct!v“).
Und ein nochmals ganz anderes Thema ist, dass viele Frauen in der Prostitution einfach tralala in den Tag leben, die verdiente Kohle verprassen und keinen Gedanken daran verschwenden, was in 10 oder 20 Jahren sein mag. Und es nicht nur dulden, sondern erwarten, dass irgendwelche folgerichtig „mitverdienende“ Kerle sich um unangenehme Dinge (beispielsweise „Behördenkram“, Steuer, Organisatorisches, etc.) kümmern (klassisches weibliches Rollenverhalten). Dürfen die das Ihrer Meinung nach eigentlich? Ich meine ja. Was sie dann m.E. nicht dürfen ist in 20 Jahren darüber zu lamentieren, was sie für bedauernswerte Geschöpfe seien. Denn es war sehenden Auges ihre ureigene Wahl. Ich weiss, die Psychologie, Verdrängung etc. pp.
Wovon ich hier nicht rede ist die sogenannte Zwangsprostitution. Das ist schlichtweg Nötigung und Vergewaltigung, übrigens Straftatbestände, welche bereits heute sanktioniert sind ….
P.S.: Ich persönlich nehme keine sexuellen Diensteistungen in Anspruch, vorsorglich erwähnt.
LikeLike
Ein paar Worte zum nordischen Modell. Wenn ich so höre und lese, dass der Kauf von Sex bestraft werden muss, frage ich mich ob es nicht Mittel und Wege gibt dieses Problem elegant zu umgehen, denn was hilft das beste Gesetz wenn es in der Realität nichts bringt.
Welche Auswirkungen hat das Sexkaufverbot? Nichts anderes als das ein Freier und die dazugehörige Prostituierte, wenn sie nicht gerade ganz blöd sind, oder im Untergrund verschwinden, vor, während und nach dem Sex keine Euros in ihrer Nähe haben, wollen sie sich den Stress mit zufällig vorbeischauender Polizei ersparen.
Was auch ganz im Sinne der zuletzt genannten staatlichen Einrichtung ist oder sein kann. Denn wenn man es genau betrachtet, haben oder hatten zwar zwei Menschen –im Regelfall- privaten Sex mit einander, doch weil weit und breit kein Geld zu finden ist, kann es sich logischerweise um keine Prostitution handeln, die wird automatisch weniger.
Ist es da nicht auch verständlich, dass die männlichen Nutznießer dieser Farce keinen Grund sehen sich zu outen, sie würden ja das ganze System ad absurdum führen und das will doch keiner der daran Beteiligten.
LikeLike