Das Unmögliche ist unmöglich!
Niemand rennt mit Macheten durchs moderne London, um sie tatsächlich als Waffen einzusetzen. Die jungen Männer müssen zu einem Spiel unterwegs sein, die Macheten als Staffage – so erklärt Kameramann Niall Stuart sich das Verhalten der beiden, denen er neugierig und mit vagem Unbehagen folgt. Als das Unmögliche geschieht, ist er schreckensstarr wie die Parkbesucher, die der bestialischen Hinrichtung eines Menschen beiwohnen.
Niall tut, was er zu tun gewohnt ist.
Er filmt.
Beim Lesen der Szene zerrt der Fluchtreflex an einem und dominiert den Voyeurismus. Aber machen wir in Extremsituationen nicht alle, was uns vertraut ist, um Normalität herzustellen, gleichgültig wie absurd das Handeln scheint?
Niall filmt, distanziert die grausame Wirklichkeit per Handykamera, fixiert das Unmögliche in Pixeln. Schließlich ist erst wahr, wovon man ein Bild hat. Oder?
Die Männer posieren als Kämpfer des „Islamischen Staates“. Kurz darauf schießt die Polizei einen von ihnen nieder. Niall wird als Mittäter in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht und erlebt, wie sich völlige Entrechtung unter der Legitimation der Terrorbekämpfung anfühlt. Keine schöne, aber eine nützliche Erfahrung für das Projekt, das ihm angetragen wird – er soll einen Dokumentarfilm über das Ereignis und seine Hintergründe drehen.
Die Gräueltaten islamistischer Terrormilizen sind medial hochpräsent. Ihre Bilder befeuern die ideologischen Argumentationen von Anhängern und Gegnern verschiedenster Couleur. Ängste werden geschürt, Fronten gebildet. Verbal. Nur haben wir hier im sicheren Westen eigentlich nichts mit dem fernen Grauen zu tun, es sei denn …
Zoë Becks Roman nimmt den Mord an dem Soldaten Lee Rigby durch zwei islamistische Attentäter im Mai 2013 in London zum Anlass, die Bedingungen unter denen Radikalisierung entsteht, zu durchleuchten.
Cemal und Farook, der eine mit türkischen, der andere mit palästinensischen Wurzeln, zweite bzw. dritte Einwanderergeneration, ähneln sich in ihrer Gestalt – dunkle Haut, schwarzes Haar, Bart. Und sie ähneln sich in ihrer Wut und Frustration. Junge hasserfüllte Männer, die einen Weg suchen, eine Perspektive, die die Gesellschaft ihnen heuchlerisch verwehrt. Sie finden ihn. Bei Gott. Keinem liebenden Gott, sondern einem exzentrischen mit unantastbaren Regeln, der sie zu jenen treibt, denen es um Geld, Land und Macht geht.
Niall ahnt nicht, als er den Filmauftrag zögernd annimmt – denn sein Vater ist ein berühmter Kriegsfotograf, als Vater nicht verfügbar gewesen, die Beziehung konflikthaft – er ahnt also nicht, auf welche Weise sein Leben in die Hintergründe des Attentats verwickelt ist. Was hat das alles mit Onkel Carl und seiner Ex, Tante Karen (!), der Innenministerin, zu tun? Aus unerwarteten Wendungen bezieht der Roman seinen Drive. Niall macht die Bilder zur Wahrheit, damit die Welt sie wahrnehme. Aber was genau will er erzählen? Vom Grauen als Mahnung? Vom Krieg der Kulturen? Nein.
Zoë Beck zeigt, dass es um Ressourcen und Macht geht (wie immer), dass unsere wohlstandsgesicherte Welt ihre Verteilung verantwortet und damit Ordnungen schafft. Die Ausgrenzung von Individuen oder ganzen Gruppen aus einem sozialen System ist eine Form von Gewalt mit allen Folgen. Und Gewalt zieht bekanntlich Gewalt nach sich.
Nialls Filmcrew kämpft mit ihren Bildern. Zum einen im Sinne des Auftrags, zum anderen mit den Schattenrissen, die sie im Inneren hinterlassen.
Zoë Beck verwebt die Realität mit der Bildergeschichte von ihr, die durchs Netz geschickt wird, mehr oder weniger absichtsvoll und folgenreich.
Kühl, nicht empathiefrei und schon gar nicht positionsfrei erzählt sie die facettenreiche Geschichte, Komisches lebt passender Weise im Schmerzlichen. Die Komplexität der Figuren verschafft ihnen plausible Motive, ihre Dialoge sind Gespräche – schnell, ironisch, auf den Punkt. Mit diesem Ansatz kann Nialls Geschichte nicht ganz gut gehen. Sinnvollerweise. Vieles gäbe es noch zu bejubeln … Insgesamt ist es der finsterste, spannendste, vielschichtigste und beste Roman, den Zoë Beck bisher veröffentlicht hat.
Zoë Beck, Schwarzblende, Roman, Heyne Verlag München, 2015, S. 416, 9,99 Euro