Politik und Lebensumwelt
von Anne Goldmann
Im Zuge der Wahlkonfrontation auf einem österreichischen Privatsender zur bevorstehenden Bundespräsident*innenwahl wurde offenbar, dass neben der einzigen Kandidatin, einer Juristin und ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, die mir bislang eher als konservativ-verhalten aufgefallen ist, auch vier ihrer fünf männlichen Mitbewerber sich als „Feministen“ begreifen, wiewohl einer auf Nachfrage einschränkte, dass der „Feminismus“ schon auch zu weit gehen könne“. So sei z. B. die Ehe „disqualifiziert“ worden. Aber Gleichberechtigung – keine Frage!
Die Moderatorin zeigte sich überrascht über die „extrem feministischen Runde “. Und ich war erst einmal sprachlos.
Der fünfte Kandidat, der als Bundespräsident (lt. Homepage seiner Partei) ein „Schutzherr für Österreich“ sein und „die Invasion an Flüchtlingen stoppen“ will, ist erwartungsgemäß kein Feminist. Aber auch kein Macho, wie er eindringlich betonte. Er führe eine „sehr, sehr partnerschaftliche Beziehung“, bügle auch und sogar gern.
Na dann!
Gute Aussichten
Ich freue mich, dass wir Feministinnen jetzt so viele Mitstreiter*innen haben, twitterte jemand. Und ich freue mich auch, zumal vier der fünf Männer lange Jahre in der Bundespolitik tätig waren bzw. noch sind und damit über beste Netzwerke und Verbindungen in Politik und Wirtschaft im In- und Ausland verfügen – hervorragende Voraussetzungen, um ab sofort unser gemeinsames politisches Anliegen zügig und tatkräftig voranzutreiben. Denn schon auf den ersten Blick liegt immer noch vieles im Argen. Der Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern z. B. hat sich in den letzten 15 Jahren kein bisschen verringert. Das Gehalt von Frauen in Vollzeitbeschäftigung liegt in der EU um 16, 4 % unter dem von Männern, in Österreich sind es 23,4 %. Das bedeutet, dass Frauen hierzulande 62 Tage länger arbeiten müssten, um den Gehaltsunterscheid auszugleichen. Je schlechter die soziale Stellung der Frau, desto größer sind ihre Einkommensnachteile: Während Beamtinnen 95 % des mittleren Männereinkommens beziehen, kommen Arbeiterinnen lediglich auf 43 (!) Prozent.
Ich stelle mir vor, dass diese Zahlen bei den Kandidat*innen Empörung auslösen. Es ist nicht schwer sich auszumalen, was Lebensalltag an der Armutsgrenze bedeutet: Prekäre Wohnverhältnisse, billige Ernährung, schlechtere gesundheitliche Versorgung. Jede notwendige Anschaffung, jedes defekt gewordene Gerät, die Heizkostenrechnung, der Zahnarzt bedeuten Grübeln, Rechnen, Aushilfsjobs oder Überstunden, noch mehr Sparen, Verzicht und schlaflose Nächte. Scham, weil ein Individualversagen unterstellt wird, wo in Wahrheit der Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe ungleich verteilt bzw. verstellt ist. Ungleiche Lebenschancen und Entwicklungsmöglichkeiten von Anfang an.
Schmuddelkinder
Zu einem großen Teil trifft es Alleinerzieherinnen und ihre Kinder. Wir alle wissen außerdem: Gesundheit wie Bildung werden „vererbt“.
Wer ernst meint, was er oder sie sagt, wird – wenn ihm oder ihr Kinder am Herzen liegen und Frauenrechte ebenso wichtig sind wie uns – unverzüglich zur Behebung dieses Missstandes antreten. Und die Umsetzung aller weiteren gesetzlich garantierten Rechte für Frauen, die immer noch im Stadium der bloßen Absichtserklärungen verharren, in Angriff nehmen.
Natürlich ist mir klar, dass es zwei, drei Jahre dauern kann, bis alles richtig ins Laufen kommt. Aber – ich erwarte mir viel: In den nächsten Tagen wird eine ganze Reihe von Politikern die Sitze, die ihren Kolleginnen zustehen, räumen. Das lässt sich ruckzuck umsetzen. Keine großen Vorbereitungen notwendig. Die Wirtschaft wird nachziehen. Warum auch nicht? Hier wie dort herrschen ähnliche Verhältnisse. Der höchste Frauenanteil im österreichischen Parlament wurde 2002 mit 33, 9% erreicht. Seitdem ging es diesbezüglich stetig abwärts. Derzeit stehen 127 männlichen Abgeordneten des Nationalrats nur 56 Frauen (30,6%) gegenüber. In den jeweiligen Landesregierungen sieht es ähnlich düster aus. In Oberösterreich sitzt dort keine einzige Frau.
Gut, dass sich jetzt alles ändern wird.
Hier „Der Standard“ zum Thema. Oder auch „Pro und Contra“.