
Andrea Berthel: Das Verschwinden der Yámanas,02/08
Ein erster Versuch von Christine Lehmann
Eine Krimiautorin hat mal vor vielen Jahren Lacher erzielt, als sie sagte: „Männer sind exakt in allen Daten, die Autos betreffen, Frauen können die Gespräche beim Frisör beschreiben.“ Banal, aber wegweisend. Welche Art von Alltag kommt in Büchern überhaupt vor? Der kriegerische, der mafiöse und weltumspannende oder das Leben, die sozialen Beziehungen, die Welt der Frauen, die Leben erst ermöglichen, indem sie ernähren, gebären, erziehen, Männer betreuen, Alltag organisieren. Das wäre der weibliche Blick auf soziale und emotionale Strukturen, die unsere Gesellschaft im Wesentlichen bestimmen und Männer oft gar nicht interessieren.
Und damit zum Schlüsselblick, dem erotischen, dem sexualisierenden Blick, ohne den Frauen von Männern gar nicht beschrieben werden können und der ihren Wert allein an den erotischen Reizen oder der Abwesenheit dieser Reize misst: Blondinen, Huren, Brüste, Lippen, Hintern, einladend, abweisend. Der männliche Blick (des Autors oder Malers oder Bildhauers) sucht nach erotischen Signalen zur eigenen Stimulanz und stellt sie dar. Dem Blick müssen wir Frauen folgen, wenn wir Bücher von Männern lesen. Erstaunlich, wie oft schöne Frauen in solchen Büchern mit alten, zynischen, melancholischen und ungepflegten Männern flirten. Ein schreibender Mann kann eine Frau nicht anders beschreiben als in Relation zu ihm, als potenzielle Sexualpartnerin oder aber als Abweisende, folglich hochnäsige oder kalte Frau, wenn sie sich nicht für ihn interessiert. Denken wir an Theveleits Grundthese, dass mit und in der Kunst der Mann die Frau tötet, um sie ein für alle Mal zu unterwerfen. (Nur eine tote Frau ist eine gute Frau, denn sie hat keinen Eigenwillen mehr.) Er bannt sie in drei typische Bilder – sage ich – die Heilige, die Hure und die Verräterin (an ihm, dem Mann). Immer ist sie Opfer … des männlichen Blicks (Begehrens), Opfer der Wut des männlichen Künstlers, dass Frauen nicht wollen wie er, dass sie sich entziehen, dass sie eigensinnig sind.
Dieser Blick, meine ich, färbt allerdings ab, auch auf uns schreibende Frauen. Im Grunde existiert in der Welt der Fiktion (die auf Realität wirkt) kaum eine andere Erotik als die des männlichen Blicks, der weibliche Körper sexualisiert. Tun wir das auch (mit lesbischem Blick), bedienen wir uns der männlichen Reiz-Attribute; Brust, Möse, Arsch, Lippen, kokettierender Blick. Wie würde eine Malerin einen Akt malen, ohne dabei den männlichen Blick zum Zuge kommen lassen? Zumindest eben nicht in einer Pose, in der die Frau den Arm hebt und die Achsel zeigt, oder auf einem Sofa Brüste und Hintern exponiert. Sondern irgendwie anders. Und nicht einmal der erotisierende Blick auf Männer ist tatsächlich unserer eigener, weiblicher, denn die homoerotische Kunst hat ihn bereits besetzt. Da gilt es, genau das eigene Weibliche und das fremde Männliche in der Erotisierung auseinander zu klamüsern.
Wie beschreibt eine Schriftstellerin eine Frau? Vielleicht nicht zuerst mithilfe der sekundären Geschlechtsmerkmale, sondern über ihr Gesicht, das Intelligenz oder Kraft spiegelt oder über Kleider, die sie in eine soziale Gruppe stecken oder irgendwie anders. Nicht Lippen und Figur sind das erste, was wir sehen … vorausgesetzt wir schreibende Frauen können uns wirklich frei machen davon, dass wir über Bücher, Filme und Werbung darauf trainiert worden sind, den männlichen Blick anzunehmen und Frauen über Sex zu kategorisieren: aufreizend, flirtend, kokett, hübsch oder (unwert) hässlich, fett und ungepflegt.
Ich selbst stelle an mich den Anspruch, dass nicht jeder zweite Krimi von mir mit einer Frau als Täterin aufwartet. Frauen morden so selten, Männer in Realität so oft (wobei es meistens Totschlag ist), ohne dass sich das im Krimi widerspiegelt. Der Krimi macht Frauen zu kalten Teufelinnen, perfekten Giftmörderinnen, zum eigentlichen Fluch der Menschheit. Eine Ablenkung von der Wahrheit der Gewalt. Getötet wird massenhaft und in Massen von Männern, wie wir in zahlreichen Kriegsgebieten gut beobachten können. Die Opfer sind massenhaft Frauen und Kinder, terrorisiert zusätzlich von religiös-ideologischen Repressalien und Grausamkeiten. Es gibt schreibende Männer, die richten ihren Blick auch auf die Untaten von Männern, etwa auf Vergewaltigungen. Das ist aber im Krimi eher selten, es sei denn es handelt sich um eine voyeuristische Schilderung von sadistischem Tun (ein Serienkiller quält Frauen), die den Autor und so manche Leser*innen offenbar faszinieren.
Wie oft hört man in TV-Krimis Frauen schreien! Gerne am Anfang in einer Szene, in der sie mit aufgerissenen Augen in Todesangst ihrem Mörder entgegensieht. Wie viele hübsche junge Frauen haben wir im Krimi schon in Todesangst besinnungslos kreischen gesehen und gehört. Eine Analyse, warum Frauen Opfer werden, ist das nicht. Es steht nicht das Patriarchat zur Debatte, sondern der individuelle Psychopath. In Krimis wird, was Männer tun, nur ganz gelegentlich meist in komödiantischen Krimis über lustig männermordende Frauen, ihrem Geschlecht angekreidet. Was Frauen tun oder erleiden, wird aufs ganze Geschlecht hochgerechnet: junge Frauen werden Opfer von Psychopathen, ältere Damen sind Giftmörderinnen aus Eifersucht oder böse Mütter, die ihre Söhne zu Psychopathen gemacht haben, etc. Wird am Ende eine Frau verhaftet, nicken alle und meinen, sie hätten wieder mal was über das weibliche Geschlecht gelernt.
Solche Fallen versuchen wir Autorinnen zu umgehen. Bei uns sind Frauen Handelnde. Unsere Detektivinnen werden nicht von ihren Ermittlungspartnern gerettet, sie retten sich selbst und andere. Und wenn bei uns Frauen Opfer von Gewalt werden, so erzählen wir vom System, das es Männern erlaubt, Frauen zu erniedrigen, zu foltern und im Machtkrieg unter Männern zu misshandeln. Nicht alle Frauen bei uns müssen die Guten sein, aber wir behaupten eben nicht, dass eine Frauenfigur in unserem Buch zugleich für ihr ganzes Geschlecht steht. Bei uns sind Frauen Individuen, so differenziert wie wir es von Darstellungen des Männlichen durch Männer gewohnt sind.
Daraus ergibt sich übrigens auch eine weibliche Ästhetik, die aber hier nicht das Thema sein soll. Denn zu dem, was wir als gut und schön, als gelungen empfinden, gehört auch die soziale Dramaturgie einer Story, also das Verhältnis der Figuren zueinander und das, was als wichtig in den Fokus gerückt wird. Wir haben uns an eine Ästhetik gewöhnt, die vom männlichen Blick auf die Welt bestimmt wird. Was abweicht, fällt auch schnell aus dem uns weitgehend unbewussten Raster heraus, in dem wir Bücher als „gut“ und „schlecht“ einordnen, nämlich als vertraut oder beunruhigend, weil unerwartet.
Soviel mal von mir zum Anfang. Ich vermute, dass meine Kolleginnen auch etwas zum weiblichen Blick zu sagen haben, auch ganz anderes. Ich schlage vor, dass wir die Beiträge dazu später in einer Seite zusammenfassen und geschlossen veröffentlichen.
Ja, ich denke doch, dass der Artikel (leider) immer noch hochaktuell ist. DIE Frau durch seine Augen ist IMMER irgendwie „tot“ und zweidimensional. Der Mann kann nicht von sich selbst abstrahieren. Das macht auch das Frauenbild so eintönig und platt. Leider versuchen die jungen Frauen wieder in SEIN kleinkariertes Schema zu passen. Sie erinnern mich alle an Schneewittchens Schwestern, die an ihrem Körper herumfuhrwerken, schneiden, operieren, botoxen, diäten, abnehmen, um in eines seiner drei platten Bildvorlagen zu passen. Am Liebsten natürlich ins Bild der Prinzessin und Geliebten, gern auch etwas aufgepeppt, (wir sind ja jetzt angeblich sexaffin gleichberechtigt) mit etwas „bitchy, fuckability,“ und etwas nuttiger Verruchtheit. Opfer ist out, aber ewiges Objekt für SEINE Begutachtung ist leider aktueller als je. Und ja, wir wissen es seit ewigen Zeiten, (Gähn!) ER kann besser schauen als denken. Ob die Verblödung der Gesellschaft auch damit zusammenhängt, weiss ich nicht. Das Gen für Intelligenz befindet sich ja auf dem X-Chromosom. Und im Moment sind viele kluge Frauen allein und unbemannt, da sie den Tanz der Eitelkeiten nicht mitmachen und sich vor allem weigern sich durch SEINE Augen zu begutachten zu lassen.
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Liebe Yvonne, bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich eine Beobachtung mitteile, die ich beim Lesen deines Kommentars gemacht habe. Du verwendest doch sehr viele scharfe und verächtliche Worte für „die jungen Frauen“, die sich anders verhalten, als du das gerne hättest. Ein bisschen frauenfeindlich klingt das für mich schon. Wenn man so generell über eine große Gruppe – „die jungen Frauen“ -spricht, als seien es alle. Es sind aber nicht alle, und alle sind Individuen, und ganz viele haben zunächst berufliche Ziele und nicht das Ziel, einen Mann zu finden. Und was ist mit den Frauen, die eine Frau finden wollen? Was ich damit sagen will: Ich verstehe dein Unverständnis für das, was du in der jüngeren Generation siehst, aber mir ist das auch wieder zu pauschal und zu generell. Würdest du das auch über „die jungen Männer“ sagen? Und wenn ja: Was würdest du über sie sagen?
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Ich habe eben nicht pauschalisiert, sondern darauf hingewiesen, dass viele junge Frauen, die sich diesem „neuen“ Markt der Eitelkeiten entziehen, oft „ausgemustert“ werden und dann tiefenttäuscht alleine bleiben (müssen). Na klar, auch nicht alle. Das Selbe trifft leider auch auf junge Männer zu, die sich dem angesagten coolen mainstream-Männerbild entziehen und eben andere und gleichberechtigte Muster leben. Es scheint halt einfach so, als hätte RTL 2 und Trash z.Z. etwas Hochkonjunktur.
Ja, ich kann mich auch irren. Ist halt nur so eine Beobachtung. Ausserdem beklagen sich „komischerweise“ junge Männer und junge Frauen bei mir über genau diese „Uebersexualisierung“. Komisch, nicht?
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Ick weeß et nich. Das ist mir zu einfach. Meine Heldinnen und auch meine weiblichen Opfer passen nicht in diese Schemata. Die Frau als exigews Opfer und Objekt passt für mich nicht mehr in unsere Realität. Tradierte Rollen werden im Alltag ständig widerlegt. Aber ich bin auf eure Werke gespannt.
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Im Alltag werden tradierte Rollen in der Tat ständig durch Anders-Leben widerlegt. Aber manchmal scheint mir, die Literatur mit ihren Fiktionen hinkt der Realität hinterher. Im Literaturbetrieb herrschen Männer und bestimmen Männer die Urteile über Bücher, die meisten Preise gehen immer noch an Männer, viele Festivals laden erst einmal die männlichen Autoren ein, bis ihnen einfällt: „Mist, wir brauchen noch eine Frau“. Gruppenbild mit Dame ist leider im Kulturbetrieb noch ein übliches Bild. Und die Frauenfiguren in fiktiven Texten dieser doch sehr stark vom männlichen Gusto bestimmten Welt, sind wenig variantenreich und keineswegs ein Abbild der realen Vielfalt des Lebens. Ohne Zweifel gibt es aber auch innerhalb der Literatur viele Aufbrüche. Deshalb haben wir dieses Netzwerk gegründet: um den Fokus auf sie zu lenken.
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