Halbtags & intuitiv – „Die Hex ist tot“ von Monika Geier

51VpZA2u6XL._SX318_BO1,204,203,200_Monika Geier, Die Hex ist tot, Kriminalroman, Argument Verlag Hamburg, 2013, S.363, 12,- Euro, oder bei Culturbooks Hamburg als eBook, 8,99 Euro

Bettina Boll ist Halbtagskriminalistin und muss etwas ziemlich Langweiliges tun – Kanaldeckel gucken, weil ein Bekloppter die Dinger geöffnet und damit ein Unfallrisiko im öffentliche Raum geschaffen hat. Zwar fand man bei einer ähnlichen Serie vor Jahren eine Leiche in einem der Schächte, aber das neue Kanaldeckelproblem wäre eher etwas fürs Ordnungsamt. Immerhin verschafft es der Autorin Zeit, die Figuren behutsam, genau und ironisch einzuführen. Ein Kriminalroman muss nämlich nicht mit einem Knall und auch nicht mit der Leiche auf Seite sieben beginnen.
Bettina kümmert sich um die Kinder ihrer toten Schwester. Zu allem Überfluss wird die Tante, die die Geschwister großzog, pflegebedürftig, während nun doch ein neues Verbrechen geschieht. Eine Frau wird kopfüber in einen Kanalschacht gestopft. Sie bleibt nicht die einzige Tote. Wer nun glaubt, dies seien die Taten eines devianten Serienkillers mit Kindheitstrauma, der irrt, soviel sei gesagt.

Neben der Ironie und der Bodenhaftung gibt es zwei Aspekte, die diesen Roman auszeichnen. Bettina muss sich mit der Macht der Männern herumschlagen: Mit ihrem Oldscool-Vorgesetzten, der autoritär verfährt, mit ihrem Kollegen Ackermann, den sie liebt (und er sie), der zugewandt und entmündigend agiert. Und sie muss sich mit der Konkurrenz der Frauen auseinandersetzen. Nein, es bilden sich keine schwesterlichen Allianzen, wie wir sie uns wünschen würden, keine Solidarität der Unterprivilegierten, denn Bettina ist halbtags. Da gibt es Missgunst und Eifersucht von der Kollegin. Missachtung und Machtausübung von der Tante. Vorbehalte von Zeuginnen. Es sind Verhaltensweisen, die so üblich und vertraut sind, dass man nur Bewunderung für Bettinas stoischen Pragmatismus empfinden kann.

Einige kleine Fehler medizinischer Details seien hier vernachlässigt.

Exzellent ausgearbeitet sind die Szenen, die mit der „Intuition“ von Bettina Boll zu tun haben. „Intuition“ wird in der Regel nur behauptet und damit mystifiziert. Oft kann man lesen, jemand erfasse etwas „intuitiv“ und basta, was immer damit gemeint ist. Monika Geier hingegen lässt Bettina ihre Emotionen, vagen Ideen, seltsamen Anwandlungen reflektieren, gestaltet das nicht ausschließlich kognitiv, sondern schafft eine Atmosphäre, in der sich etwas innerlich ereignen kann, etwas, das Folgen im Denken und Handeln hat. (Derartiges habe ich noch nie gelesen.) Das ist neben allen Qualitäten des Romans eine faszinierende Besonderheit.

„Die Hex ist tot“ ist ein politischer Kriminalroman. Gewiss könnte man darüber streiten, was „politisch“ ist. Halbtagskriminalistinnen mit  „Stiefkindern“ und einem Fall, bei dem es um Macht, Geld und Schönheitsverpflichtungen geht, sind es auf jeden Fall im allerbesten Sinne.

Über annekuhlmeyer

1961 in Leipzig geboren, lebt im Münsterland, schreibt Kriminalromane, Geschichten und dies: Blog: https://annekuhlmeyer.wordpress.com/
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3 Antworten zu Halbtags & intuitiv – „Die Hex ist tot“ von Monika Geier

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