Ein paar Gedanken zum besonderen Realismus der Eva-Wylie-Trilogie von Else Laudan
Eva Wylie kam über mich wie eine Sturmflut. Fassungslos versank ich in den brachialen Kapriolen und hirnverbrannten Ratschlägen einer begriffsstutzigen Wuchtbrumme, deren Realität mit meiner herzlich wenig gemein hatte. Ich wusste nur, dies war rasante, knackig frische Genreliteratur voller Witz und Milieuschärfe, serviert durch eine schwitzende, trampelige Catcherin, die mir brutal ihre selbstgeschusterten Binsenweisheiten vor den Latz knallt. Ungeniert, ungestüm, unverschämt prollig. Unwiderstehlich.
Entstanden ist sie damals in den 90ern, als die Kommissarinnen genreweit auf dem Vormarsch waren und sie doch alle ein Hauch von Bildungsbürgertum und Erfolg umwehte. Eva, das Kampfschwein, riecht deutlich anders.
Aber ich habe es geschafft. Das kannst du dir hinter die Löffel schreiben. Garantiert lachst du dich schon die ganze Zeit tot über diese bullige Frau, die sich noch bulliger und härter macht. Dann will ich dir mal was sagen: Ich bin nie krank, ich habe nie Kopfschmerzen, und wenn ich mich verletze, mache ich nicht schlapp. Kannst du das auch von dir sagen? Hä?
Raus damit, was hättest du denn gemacht, wenn es dich quer über die Straße katapultiert hätte, mit einer Tür auf dem Latz? *
Eines Tages betrachtete Autorin Liza Cody in London ein Poster des zähnefletschenden Wrestlingstars Klondyke Kate. Gleich daneben hing eine Lippenstiftreklame. So inspiriert schuf sie Eva Wylie, über die sie selbst sagt:
»Eva ist keine vernünftige Frau. Sie ist ein Alptraum der Gesellschaft. Was wird aus einem hässlichen, ungebildeten, wütenden, vernachlässigten Kind, wenn es zu einer großen, starken, hässlichen Frau heranwächst? Es ist hart, die Hässliche zu sein in einer Welt, die Frauen nach Jugend, Schönheit und Sexyness bewertet. Eva denkt, wenn sie überhaupt mal denkt, dass sie aus ihrer Not eine Tugend gemacht hat, indem sie in der Profi-Wrestlingszene die Böse geworden ist. Sie ist verquer genug, um Buhrufe und Pfiffe und den wütenden Hass des Publikums als persönlichen Erfolg zu werten. Und ich bin verquer genug, um darin ein feministisches Statement zu sehen.« (Liza Cody)
Verquer? Sicherlich, wenn man auf breit Konsensfähiges aus ist. Wenn man die Werte und Maßstäbe, welche unsere Spielart des Patriarchats durchdringen, doch irgendwie intakt lassen oder zumindest in Rechnung stellen möchte. Die große Sara Paretsky auf dem Höhepunkt ihres Ruhms zollte Eva Wylie allerhöchstes Lob, als sie öffentlich bekundete: »Welch mutiges und brillantes Werk! Ich bin blass vor Neid, weil ich weiß, dass ich ein solches Buch nicht schreiben kann.« Vermutlich hat sie schon damals erkannt, wie verblüffend zeitlos diese Trilogie aus der Masse der Titel zur feministischen Genre-Eroberung herausragt, auch und gerade weil sie sich jeder Gefälligkeit enthält.
Im Frühjahr 2013 lauschte ich dem ohnmächtigen Zornausbruch einer viel jüngeren Schriftstellerin über das aktuell kolportierte Frauenbild, das uns überall umgibt (wir saßen in einem Berliner Lokal mit Blick auf eine Bushaltestelle samt Werbetafel, ganz normal, laszive Brünette mit viel Haut). Da wurde mir schlagartig klar, dass Eva Wylie dringend neu aufgelegt gehört. Gerade heute, in der Ära der »Frauenspannung« und rosa Ü-Eier.
Du hältst mich für ein herzloses Luder, stimmt’s? Oder du glaubst, ich spiele das herzlose Luder nur, um meinen Ruf zu wahren. Mach dir nichts vor. Wenn ich eines Tages abtrete, dann mit einem Knalleffekt. Ich will kein Fleischklumpen sein, den jeder ausgenutzt hat und keiner kannte. Wenn ich einmal abtrete, kennt jeder meinen Namen.**
Übrigens: In der Literaturkritik wird an der Eva-Wylie-Trilogie immer besonders die Technik des »unzuverlässigen Erzählens« herausgehoben, die Cody so meisterlich beherrscht. »Was naiv daherkommt, ist wie so oft in der Literatur hochreflektiert. Und grandios komisch. Aber Vorsicht: So geradeaus sie auch wirken mag, Eva Wylie ist eine unzuverlässige Erzählerin, der man nicht alles unhinterfragt abkaufen sollte.« (Satt.org) Auf Wikipedia heißt es zu dieser Technik: »Die Motivationen der Erzählerfigur für das unzuverlässige Erzählen können psychische Störungen, Voreingenommenheit oder Unwissenheit sein, ebenso aber auch der bewusste Versuch, den Leser zu täuschen.«
Mein Eindruck ist, dass es um etwas anderes geht, jedenfalls bei Cody (und übrigens ähnlich bei Wolf Haas’ Brenner). Wie kann man literarisch Mechanismen zeigen, mit denen Menschen sich Herrschaftsverhältnissen unterwerfen, ja diese aktiv reproduzieren? Wir alle arrangieren uns täglich notgedrungen damit, dass die Welt für uns nicht »stimmt«. Über diesen Eiertanz steht viel Schönes und Wahres in der Literatur – gerade im Genre –, allerdings spiegelt es häufig den Realitätsrahmen reflektierter Intellektueller oder bürgerlicher Mittelschicht. Was ist mit den berühmten »Unbedarften«, den vielen, die nicht in Kategorien wie Gesellschaftskritik denken gelernt haben, egal, wie schlecht aufgehoben sie in den Verhältnissen sind? Wie sieht ihr Eiertanz aus? Simpel gestrickte Feindbilder, Borniertheit, Selbstbetrug und Leugnung sind probate Mittel, um sich im Alltag zu orientieren, irgendwie doch im Bestehenden zu verorten, auch wenn es keinen guten Ort gibt. Solche Mechanismen abzubilden, ohne erhobenen Zeigefinger und ohne Überheblichkeit, das erfordert große Kunst. Eine »unzuverlässige« Erzählstimme wie Eva Wylie schenkt mir als Leserin die ideale Mischung aus Einfühlung, Abstand und ahnungsvollem Mehrwissen, um halb lachend, halb entsetzt das unvermeidliche Desaster auf sie zukommen zu sehen und dennoch die Augenhöhe nicht zu verlassen. Eva hat meine volle Aufmerksamkeit, meine Zuneigung und vor allem: meinen Respekt.
Ach ja, und nebenbei: Eva würde jedem, der sie unzuverlässig nennt, die Fresse polieren. Schließlich hat sie auch ihren Stolz.
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* aus Liza Cody: Was sie nicht umbringt
** aus Liza Cody: Eva sieht rot.
Die Eva-Wylie-Trilogie von Liza Cody, übersetzt von Regina Rawlinson:
Was sie nicht umbringt; Eva sieht rot; Eva langt zu. (Neuauflage 2015 bei Ariadne)